Wendl-Kempmann, Gertrud/Wendl, Philipp:
Partnerkrisen und Scheidung.Ursachen, Auswirkungen und
Verarbeitung aus psychoanalytischer und richterlicher Sicht. Verlag C.H. Beck München 1986, 271 Seiten.
Eine Psychoanalytikerin und ein Familienrichter tun etwas, worüber man sich
als praktizierender Psychologe und Paartherapeut nur freuen kann: Sie wenden
psychoanalytische Erkenntnisse der Charakterologie auf die Problematik der Ehe
und der Scheidung an. Beide habe schon viele Jahre Fortbildungen für
RichterInnen und RechtsanwältInnen durchgeführt und einen Ausbildungsgang an
der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie in München gestaltet. So
konnten sie wesentlich zu einem Abbau der Vorurteile in der Juristenwelt
beitragen.
Das Buch ist nicht neu und so sind auch die verarbeiteten Theoreme schon etwas
älter. Sie Autoren beschränken sich im wesentlichen auf das klassische
analytische Entwicklungsmodell der Triebphasen, verstehen es aber sehr
anschaulich darzustellen. Im ersten Teil wird sozusagen der theoretische
Hintergrund auf der Basis von Freud, Riemann und Willi dargestellt - immer mit
anschaulichen Beispielen gespickt. Im zweiten Teil dann die Anwendung auf den
Alltag des Familienrichters, wobei die Fälle anscheinend aus Seminaren oder
Revisionsverhandlungen stammen, wodurch sich recht anschaulich eine
Gegenüberstellung von realer und idealer Rechtsprechung auf dem Hintergrund
eines tiefenpsychologisch-analytisch gebildeten Richters ergibt.
Die grundlegenden Überlegung geht dahin, dass eine Ehe oder Partnerschaft eine
Lebensaufgabe (im Sinne Alfred Adlers) darstellt, an der sich die Reife der
Beteiligten erweist. Fehlt es hier an wesentlichen Entwicklungsschritten, so ist
die Beziehung fast notwendig zum Scheitern verurteilt. Die sich bildende
neurotische Kollusion löst sich mit dem Scheidungsbegehren durchaus nicht auf,
sondern wird im Vorfeld und im Prozess selbst wild agiert. Dabei kommt es auch
zu gruppendynamischen Phänomenen, in die alle Prozeßbeteiligten involviert
werden. Es ist keine Frage, dass die Leidtragenden nicht nur die
"Liebeskontrahenten" sind, sondern besonders auch die eventuell aus
der Ehe hervorgegangenen Kinder. Sehr schön kann das Autorenpaar zeigen,
wieviel unsinniges Leid vermieden werden kann und könnte, wenn die
Prozeßbeteiligten über mehr tiefenpsychologisches Wissen und entsprechendes
Verstehen verfügten. Von den Scheidungspaaren kann das nicht immer erwartet
werden, wenngleich heute ein viel größeres Angebot besteht (Paarberatung, -therapie,
Mediation). Wenn aber Richter und Anwälte entsprechend instruiert wären,
ließe sich noch einiges abmildern.
B. Kuck, Januar 2002
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