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Sogl Christina & Reiner: Ganz nackt. Radikale Aufrichtigkeit – ein mutiger Entwicklungsweg für Paare in eine erfüllte Intimität. Books on Demand, Norderstedt, 2021.


Der Titel hat in unserer pornographischen Kultur das Zeug, als pornographische Schrift angesehen zu werden. Ecosiet (suchen mit Ecosia statt mit der Datenkrake Google) mensch nur den Titel, tauchen viele Seite auf, die genau diesen Aspekt in den Vordergrund rücken. Dann kann mensch z. B. Nacktphotos tauschen oder sich an solchen, meistens Frauenbilder, aufgeilen – wie viele einsame Menschen auf der Suche nach Kontakt und Bezogenheit sind dort unterwegs!

Und doch könnte das Buch ein anderes Schicksal erleiden als das von Erich Fromm. Erstmals 1956 erschien ein Werk von ihm unter dem Titel: Die Kunst des Liebens. Es wurde ein Bestseller und wird noch heute aufgelegt. Viele Käufer:innen dürften das Buch enttäuscht ungelesen ins Regal gestellt haben, denn es enthielt keine »Liebestechniken«, sondern eine sozialpsychologische Untersuchung der verschiedenen Formen der Liebe (Elternliebe, Agape, erotische Liebe usw.). Hier findet sich auch eine Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft, die wesentlich den Verfall der Liebesfähigkeit der Menschen befördert, darin nahtlos an die patriarchalen Strukturen der abrahamitischen Religionen anknüpfend. Das Buch hat einen hohen theoretischen Anspruch, weshalb auch der Part der Praxis theoretisch bleibt.

Ganz anders der vorliegende Text. Hier lässt uns ein Paar an ihrer sexuell-erotischen und persönlichen Entwicklung teilhaben. Wer darin eine exhibitionistische Tendenz sucht, wird nicht fündig werden. In subtilen, kleinteiligen Schritten, in denen es um »radikale Aufrichtigkeit« in der Mitteilung von Empfindungen, Gefühlen und Gedanken geht.

Beide Autor:innen, sie begreifen sich als Forschende, kommen aus aufgelassenen Ehen, in denen sie einiges an Enttäuschungen angesammelt haben, das geradezu direkt an die biographisch gewachsenen Lebenshaltungen anknüpfte. Sie lernen sich über Paarship kennen, wo sie in den Begegnungen die Erfahrung unerfüllter Sehnsucht machten, die vermeintliche Freiheit unterschiedliche Sexpartnerinnen unverbindlich zu treffen (Reiner) zwar wichtig nach den langen Ehejahren war, löste jedoch den erlebten Mangel nicht, hatte mehr von einer »Drogensucht«, in der die Leere in der Nüchternheit nur umso schmerzlicher spürbar wurde, neuerliche Betäubung notwendig machte, auch mit Alkohol.

Die beiden nun näherten sich langsam an, wollten eigentlich etwas anderes, jedenfalls nicht die Wiederauflage der gehabten Ehe. Um dies zu vermeiden, schlossen sie einen Vertrag, in dem sie einige »Commitments« (Verpflichtungen) festlegten. Sie wollten Eindeutigkeit, Klarheit in der Begegnung, Nähe, absolute Offenheit und die radikale Anerkennung der Bedürfnisse beider, wozu die Eigenverantwortlichkeit für die eigenen Bedürfnisse gehörte. Also Zuschreibungen, Projektionen unterlassen – oder doch sich darum zu bemühen, sie erforschen, wenn sie unvermeidlich dennoch geschehen.

»Und dann erst spüren wir, dass Anerkennung der Bedürfnisse nicht dasselbe ist wie ihre Erfüllung – dass es gar nicht schlimm ist, ein Bedürfnis in einem Moment nicht vom Anderen erfüllt zu kriegen, wenn es an sich anerkannt wird und wir die Verantwortung dafür zu uns nehmen« (S. 49).

Säuglingsbedürfnisse sind bei hinreichend guten Eltern noch leicht zu erfüllen; erwachsene Bedürfnisse hingegen können sehr komplex sein. Glücklicherweise verfügen Menschen über Sprache und damit über die Möglichkeit der Mitteilung und des Austausches. Oft genug jedoch verstummen wir, haben gar keine Worte, weil wir unsere Bedürfnisse gar nicht kennen oder es fehlt an Mut, sie mitzuteilen, weil wir Verurteilung, Beschämung oder Abwendung befürchten. Und so zeigen wir allzu häufig mit dem Finger auf dien Andere:n und übersehen, dass dabei drei Finger auf uns weisen.

»Ein Psychoanalytiker hat das für mich mal sehr eindrücklich als „Flucht in den Anderen hinein“ (aus Angst) beschrieben« (S. 53).

Wenn dann die ersten Jahren des Neuen gealtert sind, beginnt entweder das Schrumpfen der Liebe, falls es überhaupt aufgrund der Vorgeschichten noch Liebesfähigkeit gab, oder das Paar stellt sich den Themen, die unter dem »Brennglas der Sexualität« am deutlichsten sichtbar werden. Hier offenbart sich unsere Gespaltenheit, unser Abgetrenntsein vom physischen Leib, den der Geist verlassen hat, in Theorien schwebt und die Existenz in der Sprache versteckt.

Wie weit geht aber nun radikale Offenheit? Wann mündet sie in unproduktive Streitereien, wann verstummen die Beteiligten und jede:r »sitzt in seiner Ecke und hat recht« (Mascha Kaléko)?

Die Wahrheit beginnt zu zweit (Nietzsche) – aber sie endet auch hier. Daher ist es so wichtig, anderes und andere in die Wahrnehmung und den Erkenntnisprozess einzubeziehen. Bei Christina & Reiner sind es der »Slow Sex«, später auch die »Tantramassage« und die Bekanntschaft mit Frank Fiess und seinem Ansatz, Liebe als Lebenskunst zu entfalten.

Über unser Erleben in der Sexualität zu sprechen bleibt wichtig, liegt aber jenseits von der bangen Frage des Mannes, ob er gut war. Und jenseits der Antwort der Frau, die ihn bestätigt, obwohl sie ihm nur die Multiorgasmen vorgespielt hat. Sicherlich erinnert sich manche:r Leser:in an den die »Orgasmus-Szene« im Film »Harry und Sally« (1989). Im Fast Food Restaurant sprechen die beiden über den Orgasmus. Und Harry (Billy Crystal) weiß, dass manche Frauen einen Orgasmus vorspielen, was ihm noch nie widerfahren sei, da er den Unterschied sofort bemerken würde. Um die sinnlose Debatte zu beenden, demonstriert Sally (Meg Ryan) im voll besetzten Restaurant, wie echt es klingen kann, wenn eine Frau einen Orgasmus spielt. Und um der Komik der Szene noch eine hinzu zu fügen, meldet sich eine Restaurantbesucherin: »Ich will genau das haben, was sie hatte«, als habe es an einem bestellten Gericht gelegen.

Hier offen und ehrlich zu sein geht nur, wenn an der Liebe als grundsätzlicher Bejahung der Existenz des anderen festgehalten wird. Und so kann es gelingen, die taub gewordenen Bereiche des physischen Leibes wieder zu verlebendigen. Diese Taubheit haben die Frauen in

»Yoni [Bezeichnung der Vulva im Tantra, BK] und Brüsten, ihr Männer im Herzen. Das können wir zwar durch genitale Erhitzung überdecken – dann muss es immer geiler, immer heißer, immer neu und anders sein mit immer ausgefeilteren Techniken, Stellungen, Spielzeugen, antörnenden Pornos oder wechselnden Partnern, damit wir noch Intensität empfinden können. Letztlich entsteht so aber eine Art Sucht. Sehr schnell genügt es nicht mehr, um Lust empfinden zu können« (S. 103).

So kommen nach und nach sehr viele Themen zutage, bei denen zu ergründen ist, was sind induzierte Bilder aus gesellschaftlich tradierten Vorstellungen; was ist Teil eines kollektiven, generativen Traumas, wozu ebenfalls die Jahrtausende alten patriarchalen Strukturen zählen; welche Bedürfnisse sind eigene und welche Ängste sind damit verknüpft?

Vieles hat auch damit zu tun, Affekte nicht einfach auszuleben, sondern sie in konstruktive Bahnen zu leiten. Natürlich klingt dies einfacher als es ist. Daraus machen die beiden keinen Hehl. Es ist ständige Übungspraxis erforderlich, um erkannte Dynamiken und Abwehren zu formen und konstruktiv den nächsten Schritt auf ein geradezu ekstatisch mögliches Mit-sein zu tun.

Grundlage ist bei alledem ein Raum des Vertrauens, den das Paar mit einigen Anregungen, wie dieser herzustellen ist, teilt. Beide öffnen sich für einander, teilen die schwierigen Gefühle ihrer Geschichte, die überwiegend erst wirklich werden, wenn sie auch gefühlt werden können.

Bei mir als Leser, quasi Betrachter von außen, stellt sich dabei der Eindruck her, dass das Paar noch lange Zeit der neurotischen Ergänzung treu bleibt. Christina, mit ihrer umfangreichen Selbsterfahrung und großen therapeutischen Erfahrung, gibt scheinbar immer wieder den Anstoß. Und selbst dies wird dem Paar zunehmend offensichtlicher, scheut sich Christina auch nicht, die entdeckten Gefühle der Überlegenheit, der Entwertung oder Abwertung offen zu legen. Das fordert beide ungeheuerlich. Dabei wird der Stellenwert der Sexualität immer zentraler, worin sich Christina trotz aller Vorkenntnisse als Analphabetin bezeichnet: Wo es noch Vorbehalte gibt, Unklarheit, geheime Nischen, da stockt auch die sexuelle Erfüllung. Sie stockt auch da, wo sie angestrengt gewollt wird. Anstrengung ist nur im Austausch und im Mut der Öffnung notwendig – im sexuellen Miteinander zählt die Absichtslosigkeit, die Bejahung, das sich mehr und mehr einstellende Fließenlassen. Ich bin erinnert an ein Aufklärungstheaterstück des Grips Theaters in Berlin, vermutlich in den 1970er Jahren. Darin trat auch »Orgi« auf. »Orgi« erwies sich allerdings als äußerst schreckhaft. Wenn er willentlich herbei gerufen wurde, versteckte er sich. Auch das anfeuernde Rufen der Zuschauer:innen half da nichts. Erst als er als Zujagendes aufgegeben wurde, stellte er sich ein und entfaltete sich zu voller Kraft und Schönheit.

»Ich, die ich mich schon mehr als zwei Jahrzehnte mit innerem Erleben beschäftigt und haufenweise darüber gelesen und eigene Worte gefunden hatte – jetzt kam ich mir vor wie eine Analphabetin. Das wirklich Wunderbare (auch für unser Wir) daran war: Für Reiner war es auch nicht anders, und wo zuvor ich der Igel gewesen war, der immer schon lange da war, wo Reiner erst hinkam, tasteten wir uns jetzt gemeinsam in Minischritten vor, nie mehr als vielleicht einen kleinen Schritt auseinander. [•] Reiner konnte sich weniger minderwertig fühlen, ich bekam die Flügel der Überlegenheit gestutzt, und wir fanden uns viel mehr auf Herz- und Augenhöhe wieder« (S. 174).

Für den »Sacred Sex«, den heiligen Sex gibt es unterschiedliche Bilder und Mythen. Nicht alles, was in frühen Kulturen zutreffend war, passt eins zu eins in unsere heutige Zeit. Wenn in mutmaßlicher Frühzeit die Veränderung der sexuellen Position von hinten, die der der Tiere entspricht, in eine Position verändert wurde, in der mensch sich von Angesicht zu Angesicht sehen konnte (sehr schön in dem Film Am Anfang war das Feuer dargestellt), so ist diese Position inzwischen zur Missionarsstellung verkommen mit allen tradierten Einschränkungen und die Position a tergo (von hinten), wie sie medizinisch distanzierend genannt wird, verkam zur Perversion. Und Nietzsche wies darauf hin, dass die christliche Religion dem Eros Gift zu trinken gab: Er verstarb nicht daran, verkam jedoch zum Laster. Und wenn heute scheinbar alles erlaubt ist, so trägt dies lange nicht zu einer erfüllenden Sexualität bei, das machen Christina & Reiner immer wieder transparent. Wer sich wirklich öffnet, derie wird auch Impulse entdecken, die ihn erschrecken. Und nein, mensch muss nicht alle Impulse ausleben – es ist aber gut, sie nicht zu verleugnen, sondern sie zumindest einmal zu benennen. Das macht Angst, ist vor allem mit Scham verbunden. Die Autor:innen einigten sich darauf,

»quasi als neues Commitment – uns gemeinsam für unbekannte neue Facetten zu öffnen, sie einander zu zeigen und anzuerkennen, notfalls erst einmal mit Worten, damit der Partner zustimmen oder ablehnen konnte« (S. 219).

Das »notfalls« verstehe ich nicht, gehört es doch zum gegenseitigen Respekt, den anderen um seine Zustimmung zu bitten. Der Impuls Christinas, Reiner ins Gesicht zu schlagen – sie mögen mir mein Interpretationsangebot verzeihen – erscheint mir unmittelbar aus dem Stand ihres Prozesses einfühlbar: "Verdammt noch mal, folge endlich deinen eigenen Bedürfnissen und richte dich nicht ständig danach, was ich wohl wollen könnte; und bitte, lass’ mich nicht immer alles anstoßen". Wie schon erwähnt, finden die beiden diesen Aspekt letztlich heraus.

Schließlich ging es darum, alle Konzepte über Bord zu werfen, bzw. trotz aller Anregungen Vorgefertigtes wirklich zu Eigenem zu machen. So war z. B. beim Slow Sex die spontane und die leidenschaftliche Sexualität in arg ruhiges Wasser gekommen. Reiner fragte sich etwa, ob es echte Impulse waren oder ob er nur wieder Christinas Bedürfnisse antizipierte und zu erfüllen suchte. Die Ekstase war so nicht zu finden. Wo sie sie erlebten, lag es nicht an der »Technik«, sondern am aufregenden Wagnis des Unbekannten (S. 225).

»In der zuletzt beschriebenen Entwicklung deutete sich an, dass das, was als eine sexuelle Forschungsreise begonnen hatte, sich nun mehr und mehr ausweitete, vertiefte und zu einer Selbstfindungsreise auf der Arena sinnlich-intimen Erlebens wurde. Ich hatte schon lange die These vertreten, dass Sexualität das Brennglas einer Beziehung sei« (S. 240).

Damit sind sie in Übereinstimmung mit Alfred Adler, der im Gegensatz zu Freud, weniger das Triebhafte in der menschlichen Sexualität betonte als die Tatsache, dass der Mensch die Sexualität hat, die zu seinem Lebensentwurf passt. Auch war ihm schon bewusst, dass die patriarchalen Strukturen, die Verblendung der Menschen durch das Machtstreben, auch die Frau nicht verschont, die etwa im »männlichen Protest« dem Mann heimzahlte. Ein Begriff, der meistens missverstanden wurde. Selbst heute zeigt er sich, wenn Emanzipation sich darin erschöpft, denselben Unsinn zu leben, den die Männer leben. Das blieb auf eine Art theoretisch, indes im vorgelegten Buch das Praktische im Zentrum steht.

In der Tantramassage (auch schon von der Pornoindustrie vereinnahmt, seriöse Anbieter:innen sind nicht leicht zu finden), beim Rollentausch von aktiv und passiv, nahm das Paar die vorläufig letzte Bastion der vorgefertigten Matrix. Dazu gehörte ebenfalls die Entdeckung der traumatischen Niederschläge in unserem Werden, die Bagatellisierung von Gewalt, wo doch schon wenige Erfahrungen, wie etwa in der schwarzen Pädagogik üblich, die Würde des Menschen untergraben und ihn schädigen. Ihre Mitteilungen zu BDSM1 Praktiken finde ich nicht differenziert genug. Auch muss mensch nicht alle Praktiken ausprobieren um zu verstehen, wie ersie auch nicht alle Krankheiten gehabt haben muss, um zu verstehen. Aber reden und nachspüren, sich nicht gleich vom moralischen Tabu abschrecken lassen – unbedingt! Im Einzelfall wäre der Bedeutungsgehalt zu prüfen, der sicherlich viel mit der Schwierigkeit von Hingabe und Dominanz zu tun hat, die bei den Praktizierenden aber nicht reflektiert, sondern eher dem Unbewussten folgend, ausgelebt wird.

Wichtig ist für den Umgang mit dem gesamten Text: Die Vorgehensweise ist sicher nicht geeignet für Menschen, die ihre Traumata, besonders die sexuellen, noch nicht einigermaßen integriert haben. Hier ist unbedingt professionelle Unterstützung notwendig (S. 271).

Christina hat sich als erste Konsequenz ihrer veränderten Einstellung aus den Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigung gelöst. Sie ist davon überzeugt, dass solche bürokratischen Strukturen viel zu träge sind, um von innen heraus verändert werden zu können. Betrachtet mensch nur die jüngste Entwicklung der sogenannten Digitalisierung im Gesundheitswesen, die ein unsinnig teures System durchdrücken will, dabei Freiheit und Geldbeiträge der Versicherten verkauft, obwohl schon die Ineffektivität unter Beweis gestellt wurde, kann mensch ihr nur zustimmen.

Desgleichen hat sie sich aus den Strukturen psychoanalytischer Institutionen zurückgezogen, die sich bereits ebenso als verkrustet und unfähig zur Wandlung gezeigt haben. Mensch kann schon den Aufschrei der etablierten Analytiker:innen hören, wenn die Sexualität nicht nur theoretisch und in Gedankengebäuden, höchstens noch in phantasmatischen Räumen betrachtet werden soll. Bislang macht die analytische Gemeinde schon Halt vor Berührungen, die nicht per se sexuell sind, sondern zwischenmenschlich. Das heißt nicht, dass jede:r für sich eine Entscheidung treffen muss und dass diese Themen nicht auch diskutiert werden müssen. So ist meiner Ansicht nach die Abstinenz in der sogenannten Psychotherapie hinsichtlich sexueller Handlungen unbedingt zu wahren. Gleichwohl ist eine Zusammenarbeit vorstellbar, wo die Erfahrungen gut angeleiteter sexueller Begegnungen analytisch weiter durchgearbeitet werden. Jedoch aus eigenen Ängsten heraus theoretisch verklausuliert etwas abzulehnen, wäre nicht wirklich etwas Neues. Die Geschichte der Psychoanalyse ist voll von Ausgrenzungen bis hin zu Denunziationen.

Nun wollen die Autor:innen nicht beim Individuellen stehen bleiben, sondern sehen diesen Weg als Möglichkeit, die patriarchalen Strukturen zu wandeln, hin zu Begegnungen von Gleichgesinnten in entsprechenden Begegnungsräumen. Was sie selbst als Paar erreicht haben, haben schon andere Paare probiert. Eines der berühmtesten ist das Paar Sartre/Beauvoir. Auch sie wollten eine radikale Offenheit in der Beziehung und haben sich von ihren sexuellen Amouren Mitteilung gemacht, wobei wohl Beauvoir hauptsächlich darunter litt. Sie hat sich möglicherweise an der patriarchalen Grundstruktur in den Beziehungen gerächt, als sie ihre Affäre mit einem Amerikaner (Nelson Algren) literarisch publizierte, was den dann zutiefst empörte. Vermutlich krankte dieser Versuch der Existenzialisten, auch der Bewegung »Make Love, Not War«, am selben wie die philosophische Richtung der Aufklärung: Die rein intellektuelle Durchdringung reicht in den meisten Fällen nicht hin, um wirklich etwas zu verändern, weil die tausende Jahre patriarchaler Strukturen tief im Empfinden und Erleben verankert sind und sich durch intellektuelle Anstrengungen allein nicht überwinden lassen. Die Psychoanalyse ist eigentlich ein mächtiges Instrument, um die unbewussten Strukturen aufzuspüren. Solange aber das Erleben nicht bis in die Tiefen der Person berührt wird, bleibt es oft genug fragmentarisch. Und so kommen die Autor:innen im Einklang mit Frank Fiess zu dem Schluss, zu dem auch schon viele Philosophien gekommen sind: Wo die Liebe, der Respekt vor dem Mitmenschen und allem Lebendigen auf dieser Erde nicht zum leitenden Wert wird, wird der »hochgerüstete Killeraffe« (Markus Gabriel) seine Lebensgrundlage zerstören, sich »tierischer als jedes Tier« (Goethe) gebärden. So ist denn der ganze Text ein Hohelied der Liebe; das lässt sich aber nicht singen, ohne durch das Tal der Tränen und der Schmerzen kollektiver Vergangenheit zu gehen.

 

1„BDSM“ ist ein mehrschichtiges Akronym, das aus den Anfangsbuchstaben der englischen Bezeichnungen „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“ gebildet wird (Wikipedia).

Bernd Kuck      
Januar 2023

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