Schmidbauer, Manfred:
Abseits der Vorhersehbarkeit. Ein Wüstentagebuch,
Springer Verlag, WienNewYork 2006.
Es ist
angenehm, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Gefällig ist es
gebunden und lässt durch seine abgesetzten Schriftpassagen das
Auge beim Gelesenem verweilen. Es gibt viele Bücher über
Wüstenerfahrungen, selten eines, das den Leser von Passage zu
Passage anregt, über das Erleben seiner eigenen Welt
nachzudenken.
Geschildert
werden drei Expeditionsreisen, nach Marokko, Ägypten und Niger.
Sie werden mit Übertiteln benannt als Aufbruch, Illusion und
Neubeginn. Der Autor will den Leser anregen, in Bewegung zu gehen und
das Wagnis einer inneren Reise anzutreten. Um die Eindrücke auf
den Reisen festzuhalten, werden die Erlebnisse neben dem
geschriebenem Wort durch Bleistiftzeichnungen verstärkt. Das
Zeichnen, wie es der Autor versteht, soll eine Mischung sein, aus dem
was man sieht, was man weiß und dem was man vergessen muß,
um immer aufs Neue überrascht und begeistert zu sein. Einige
Passagen aus dem Text sind angelehnt an sein Buch „Der
gitterlose Käfig. Wie unser Gehirn die Realität erschafft“
(Springer, Wien NewYork 2004) und Texten aus dem Buch Lueger K.
„Weit in die Wüste“. (2005, Eigenverlag Karl Lueger
in Zusammenarbeit mit dem Weishauptverlag).
Die
Expeditionen beginnen mit dem Einpacken. Dabei führt uns
Schmidbauer bereits in die Welt der Vergleiche. Die Welt unseres
Alltags mit ihren Regeln, Absichten und Hintergründen, unserer
Welt der Worte und der nicht greifbaren Bilder. Anders ist es in der
Wüste. Dort sei die Welt frei von Gesetzen, die der Mensch über
sich und die Welt verhängt hat. Dort finden sich die Originale
der Sinnbildlichkeit unserer Sprache.
Eindrücklich
zieht durch das ganze Buch die Erkenntnis, daß die Natur alles
Handeln bestimmt. Aber auch in der Wüste kann ein kleiner
menschlicher Eingriff die Naturordnung empfindlich stören.
Im
ersten Kapitel: „Aufbruch“ fordert der Autor sensibel den
Leser auf, Mut zu haben, Grenzen zu überschreiten. Dies fordert
Kraft, Überraschungen zu ertragen. Mit feinen eindringlichen
Worten lässt er den Leser selbst hinterfragen, wie unsere
alltäglichen Kämpfe zu bewerten sind, wie virtuell oft
unser Leben verläuft und was es dazu im Vergleich in der Wüste
bedeutet, seinen Kampf mit der Natur zu bestehen. Er führt hin
zu unmittelbaren Begegnungen mit Menschen in Marokko, mit ihrem Leben
und ihren Gewohnheiten. Einfühlsam illustrieren hier die
Zeichnungen Frauen, Männer,Tänzer und Tänzerinnen in
ihrer Landschaft. Der Autor hat Kenntnis von unseren täglichen
Ängsten und Befürchtungen. Er ermuntert, nicht gegen uns
selbst und unsere angstmachenden inneren Bilderwelten zu kämpfen,
die nicht zu besiegen sind. Wir sollen uns zum Verbündeten von
uns selbst machen, um gegen unsere Grenzen, oder das, was wir als
Grenzen auffassen, vorzurücken.
Im
zweiten Kapitel: „Illusion und Fatamorgana“ führt
die Expeditionsreise in die Wüste Ägyptens. Spielerisch
führt Schmidbauer in die Welt der Illusion ein. „Solange
man dem Augenblick nicht Gelegenheit gibt, zu einer neuen
Wirklichkeit zu wachsen, solange hält uns die Vergangenheit im
Griff, und sie gibt der Zukunft keine Chance, sondern immer nur ihrer
eigenen Gestalt“. Gedanken und Träume liegen in der Wüste
auf dem Weg- es zählt, ob man sich hinunterbeugt, um sie
aufzuheben- und es zählt, wo und in welchem Moment man es tut.
Ganz im Gegensatz dazu stehen die sensiblen Beobachtungen der
Realität, der Landschaftsskulpturen, des Lichts und des
Horizonts, der Wegezeichen aus Steinhaufen und die bangen Fragen
einer liebenden Frau. Und dann folgt wieder der Hinweis, die Illusion
in unserem Leben zu entdecken. Fast humorvoll lesen sich Sätze
wie: „Man sollte den ersten Eindruck nicht vergessen und der
Erinnerung misstrauen wie einem Feind“. Dies ist ein herrliches
Wechselspiel einer Schilderung zwischen glücklichen Momenten im
Alltag und der dahinterstehenden Illusion. Dem folgt die aufregende
Schilderung eines Sandsturms.
Das
dritte Kapitel „Neubeginn Niger“ hat den größten
Umfang in dem 225 Seiten starken Buch. Bereits zu Beginn des Kapitels
beschreibt der Autor das Ende seiner Suche. Dort in der Wüste
hat er die innere Gewissheit gefunden, am Ort zu sein, „der die
wortlos stimmige äußere Entsprechung des eigenen Fühlens
ist“. Wenn man diesen Ort gefunden hat, braucht es keine
Gemeinschaft, „ja selbst keine Liebe mehr“. In vielen
Passagen fordert Schmidbauer den Leser auf, zu seiner Stille zu
kommen. Zum Da-sein im Hier und Jetzt, nicht Dort-Sein im Gestern und
Morgen. In Passagen werden Lebensgewohnheiten der Tuaregs
beschrieben. Anschaulich verspürt man ihre Kraft, die Wüste
zu durchschreiten und den Zeitpunkt, wenn diese Kraft versiegt und
das Sterben ein haltungsvolles Sich-Verbeugen vor der Natur ist.
„Nichts trocknet schneller als Tränen, sagen die Tuareg,
denn in der Wüste ist Kummer wie eine schwere Last, die zu
rascher Erschöpfung, Krankheit und Tod führt“.
Am
Ende des Textes bleibt das Gefühl, viel erfahren zu haben.
Dieses
mitreissende Buch ist spannend, tiefsinnig und mutmachend für
den eigenen Weg- lehrreich für Menschen, die an psychologischen
Themen interessiert sind –eigentlich für jeden, der
Tiefsinniges und Feinfühlendes sich schenken will.
Dr.
T. Drähne Bonn, März 2007 © PPFI, B. Kuck
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