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Schmid, Gary Bruno: Tod durch Vorstellungskraft. Das Geheimnis psychogener Todesfälle. 277 S., Springer Verlag, Wien New York 2000.


Der Mensch stirbt an vielem - an Viren, Bakterien, an verschlossenen Blutgefäßen und schlicht an Altersschwäche. Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass übergroße Hoffnungslosigkeit oder Angst den Lebenswillen zermürbt und der Mensch sich unter großem äußeren oder inneren Druck aufgibt und verlöscht. Der Körper reagiert auf psychische Veränderungen, so wenn beispielsweise bei Aufregung das Herz schneller schlägt, warum sollte dann bei exorbitanten Einwirkungen in Einzelfällen nicht auch der Tod eintreten können?
Der Schweizer Psychotherapeut und Physiktheoretiker Gary Bruno Schmid, ausgebildet in Psychotherapie Jungscher Richtung, untersucht in dem Buch "Tod durch Vorstellungskraft" sogenannte psychogene Todesfälle. Er definiert sie als "Sterben allein aus seelischer Ursache" (S.7), d.h. auf Grund von Fremd- oder Autosuggestion. Es darf keine relevante materielle äußere Einwirkung und keine innere, körperliche Schädigung vorliegen und auch nicht in einer Autopsie gefunden werden. Selbstmord muss ausgeschlossen werden. Er spricht von einem "Tod aus heiterem Himmel" bei Menschen, die allem Anschein nach kurz davor noch gesund waren und die plötzlich - aus welchem Grund auch immer - den Willen verloren, zu leben.
In allen Kulturen und Epochen gab und gibt es dieses plötzliche und unerwartete Ableben auch junger Menschen. Sie sind heute so selten, dass Medien darüber berichten, zumindest wenn es sich um eine öffentlich bekannte Person handelt. Meist wird ein unerkannter Herzfehler als Ursache vermutet. Und wer kennt nicht Geschichten von Eheleuten, bei denen nach dem Tod des geliebten Partners der überlebende Teil kurz darauf ebenfalls stirbt? Oder nehmen wir die Berichte von Menschen primitiver Gesellschaften, die glaubten, verhext zu sein, und vor Angst eingingen. In primitiven Gesellschaften und bei schlicht gestrickten Menschen können starke Projektionen auf Führer und Vorgesetzte herrschen, die ihnen das Leben erleichtern, solange alles wohl steht. Wird ihnen die Protektion entzogen, kann sie diese Vorstellung umbringen. In diesen Bereich fällt z.B. der Voodoo-Tod, der psychogene Tod durch die suggestive Verwünschung einer allmächtigen Person.
Systematisch betrachtet werden so unterschiedliche Phänomene wie Trauertod (gebrochenes Herz), Heimweh-Tod, Angst- und Stress-Tod, Tod durch sich Aufgeben in Konzentrationslagern, Tod nach Überschreiten eines Tabus, Todesahnungen und der Plötzliche Kindstod. Schmid bringt dazu viele Beispiel, auch aus Literatur und Sage. Erfundene literarische Beispiele sind ihm ohne Unterschied ebenso viel wert wie Tatsachenberichte. Der Angsttod des Kindes in Goethes "Erlkönig" steht gleich neben dem Bericht eines Kongoreisenden von 1682 über den Tod eines jungen Mannes, der verbotenerweise ein Huhn gegessen hatte. Schmid zögert auch nicht, "Märchen des Alltags" wiederzugeben, jene Geschichten, die auf Parties und unter Bürokollegen kursieren. Eine der bekanntesten ist die von der "Spinne in der Yukka-Palme" (die einer Sammlung dieser nie nachgewiesenen Schauergeschichten den Titel gab). Schmid erzählt das moderne Märchen vom Metzgerlehrling, der über Nacht in der Kühlkammer eingeschlossen wurde und am nächsten Morgen tot aufgefunden wurde, obwohl die Kühlung gar nicht lief (eine Variante lautet: er hatte Erfrierungen, obwohl die Kühlung gar nicht lief).

Schmid geht mit seinem Material insgesamt ziemlich unkritisch um. Nehmen wir die alte plattdeutsche Volksballade "Es waren zwei Königskinder". Es mag noch unerheblich sein, dass die Ballade aus der Zeit nach 1600 stammt (nicht 1500) und es nicht eine "Nonne" war, die die Orientierungslichter für den Jüngling ausblies, sondern eine "Norne", d.h. eine der drei Schicksalsgöttinnen der nordischen Mythologie. In der Fassung, die Schmid präsentiert, bricht der Prinzessin, als sie den ertrunkenen Jüngling im Arm hält, das Herz, "sank in den Tod zur Stund". Im "Deutschsprachigen Liederverzeichnis" des Männer-Gesang-Verein Harmonia 1967 aus Kenosha (Wisconsin, USA) endet die Ballade anders: Die Königstochter macht Selbstmord, indem sie ins Wasser geht: "Se sprüng met in de Wellen,/ O Vader un Moder, ade!" Sie stirb nicht psychogen an gebrochenem Herzen, sondern ertrinkt. Auch die letzten Worte Penthesileas, die in Kleists Tragödie um ihren ermordeten Liebhaber Achilles trauert, deuten eher auf Selbstmord als auf "Tod durch Autosuggestion" hin.
Schmid betont mehrfach, "eine kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen" beweise die Existenz des psychogenen Todes "eindeutig" (S.17), aber es fällt doch auf, dass seine Beispiele meist deutlich mehr als 50 Jahre zurückliegen. Er zieht, wie er selbst schreibt (ebd.) die ältere medizinische Literatur heran, um die Ursprünge der Beschäftigung mit dem Phänomen aufzudecken. Wir halten fest, dass es Schmid um die geschichtliche Tradition dieses Gegenstandes geht - die letzten größeren Arbeiten dazu seien 1970 und 1973 erschienen -, nicht um den gegenwärtigen medizinischen Forschungsstand. Könnte der tiefere Grund dafür in dem Umstand liegen, dass die moderne Medizin mit ihren verbesserten Untersuchungsmethoden das Vorliegen eines psychogenen Todes immer sicherer ausschließen kann? Morphologische Veränderungen sind auch bei Gesunden nachweisbar, wenngleich es noch schwierig ist, ihre Bedeutung auf der Skala zwischen Gesundheit und Krankheit einzuschätzen. Aber heute ist ein "stinkender, dünnflüssiger Durchfall ohne bakteriologischen Befund" im Gegensatz zu 1934 nicht mehr wahrscheinlich (S. 90). Die Chancen, einen echten psychogenen Tod aufzufinden, schwinden mit den neuen Untersuchungsmöglichkeiten.

Aber nicht nur, dass der Autor etwas sorglos mit seinem Stoff umgeht. Bedenklich ist vielmehr, dass er völlig unkritisch an die Überlieferung herangeht. Die Beispiele und Belege sind meist von zweifelhafter Quelle: "Ein junges Individuum im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt wird plötzlich unruhig...", "Vor Jahren wurde in Indien in einer medizinischen Zeitschrift ein Artikel publiziert, ...", "Es wurde von Autoritäten berichtet..." - in diesem Tenor geht es über Seiten hinweg. Oftmals handelt es sich um die Nacherzählung der Nacherzählung. Shulack berichtete über einen psychogenen Todesfall 1938, Wendkos übernimmt ihn 1979 und Schmid zitiert ihn 2000. Basedow beschrieb 1925 den Fall einer tödlichen Verwünschung bei australischen Ureinwohnern, was Ellenberger 1952 übernahm, woraus Schmid 2000 zitiert. Oder jemand hat von einem verlässlichen Zeugen eine Geschichte von einem Mann in einem abgelegenen Dorf gehört, der ... usw.
Fast nie wird angegeben, wie die Berichte zustande kamen, ob und wie sie überprüft wurden, und wenn ja, von wem, und ob es mehrere voneinander unabhängige Beobachter gab. Aus Sicht eines skeptischen Zeitgenossen sind alle Beispiele nicht mehr als harmlose Anekdoten, zu deren Gunsten Schmid kaum mehr vorbringen kann, als dass ihre Überlieferer als "seriös" gelten. Dem Psychologen Schmid ist die Möglichkeit von Sinnes- und Selbsttäuschungen auf Grund ehrenwerter wie schamloser Motive gänzlich fremd. Nirgends wird in Erwägung gezogen, dass die Sinne dem Beobachter eventuell einen Streich spielten, dass er vielleicht gefoppt wurde, dass jemand sich wichtig machen wollte. Warum sollten Berichten abergläubischer Eingeborener übermäßig viel Glauben geschenkt werden? Selten wurde eine Autopsie vorgenommen, jedenfalls ist wenig davon die Rede, es sei denn in oberflächlichen Zeitungsberichten.
Schmid wurde offenbar Opfer seiner eigenen Autosuggestion. "Welchen Einfluß kann die eigene Vorstellungskraft auf den Augenblick des Todes haben?" fragt er einleitend (S.2). Die Frage setzt bereits voraus, was erst bewiesen werden muss, dass nämlich die Vorstellungskraft einen Einfluß auf den Augenblick des Todes hat. Und was heißt "Einfluß"? Der Begriff ist unbestimmt. Ist gemeint ein determinierender Faktor, der alle anderen Einflüsse überragt, handelt es sich um einen auslösenden Einfluß für eine schon angelegte Bereitschaft zu Sterben aufgrund von (bislang nicht erkannter) Krankheit oder handelt es sich um einen Einfluß im Sinne eines Kofaktors? Und wie viel Zeit darf zwischen Tabubruch, Verwünschung oder Stress und Tod maximal vergehen, damit noch ein Zusammenhang angenommen werden kann? Die Frage stellt sich angesichts des von Schmid genannten Beispiels aus der Bibel für einen "Tabu-Tod"; gemeint ist die Vertreibung aus dem Paradies nach dem Essen des Apfels vom verbotenen Baum. Bekanntlich starben Adam und Eva nicht, vielmehr wurden sie sterblich. Der Autor hat nicht immer eine glückliche Hand bei der Interpretation seines Materials.
Schmid verliert sich bei der Betrachtung des Todeszeitpunkts in Zahlenmagie (48f), wenn es darum geht, dem Todesdatum eine Aura des Besonderen zu verleihen. Auf seltsame Weise starb jemand genau "am 34. Jahrestag seines Sieges" oder an einem 22., nachdem er vor Jahrzehnten an einem 22. gekrönt worden war. Aufklärung über diese scheinbare Übereinstimmung ist leicht zu geben. Ein Monat hat nur 31 Tage. Im Laufe eines - sagen wir - 70-jährigen Lebens ziehen 840 Monate mit einem 22. vorbei und es ist unausbleiblich, dass ein paar wichtige Ereignisse auf einen 22. fallen. Menschen, die geistig nicht ganz so gut belüftet sind, machen daraus einen mächtigen Wirbel. Mit dieser primitiven Logik können auch die tollsten Zusammenhänge von fernliegenden Ereignissen und Menschen konstruiert werden. Unter den Milliarden von Menschen finden sich mit Sicherheit eine Handvoll, die am gleichen Monatstag das gleiche erlebten oder - starben. Das ist mathematisch einfach unvermeidlich. Vor dem Phänomen der Gleichzeitigkeit disparater Ereignisse kann Schmid nur staunend stehen bleiben. Manchmal liegen Schock und Tod zeitlich nah beisammen, manchmal nicht. Der Autor müßte den Beweis antreten, dass der Zeitzusammenhang mehr als zufällig ist, was bedingt, auch die widerlegenden Gegenbeispiele zu untersuchen. Vielleicht wäre dieser oder jener in diesem oder jenem Fall auch ohne psychischen Streß gestorben oder der Streß war nur noch das Tüpfelchen auf dem i und nicht "determinierend"?
Der Zustand erwartungsvoller Aufmerksamkeit und die ernsthafte Erwartung befördert den Glauben ungemein, man sei verhext und müsse sterben. Es ist das altbekannte Phänomen der "Suggestibilität", auf das schon Sigmund Freud bei seinen Hysterikerinnen hereinfiel; manche Menschen sind für Suggestionen empfänglicher als andere. Und tatsächlich kann der tödliche Bann der Verwünschung gebrochen werden durch ärztliche Kunst oder einem energischen Widerreden von dritter Seite oder durch schlichtes Nichtglauben. Auf der anderen Seite ist klar, dass übermäßiger Stress, Schock und Angst das Vegetativum und das Blutkreislaufsystem belasten, manchmal so stark, dass einzelne Gesunde ums Leben kommen. Das alles ist nicht so ungewöhnlich, wie es Schmid hinstellt.
Doch der Autor hat sich vorgenommen, auf der Schiene des Ungewöhnlichen, Unerklärlichen und Außergewöhnlichen weiter zu rollen. So landet er gegen Ende des Buches beim Versuch, einer Macht habhaft zu werden, die aus einer metaphysischen Dimension heraus im todesbereiten Menschen zusätzlich zu dessen geistiger Verwirrung von außen tödlich auf ihn einwirkt (188ff). Diese Macht nennt Schmid unter Hinweis auf eine physikalische Theorie die "Quanten-Teleportation". Sie ist kein Signal im Sinne eines Energieautauschs, sondern ein "Ferndenken in lebenden Systemen" (FDILS). Schmid räumt selbst ein, dass er sich auf "exotisches Gedankenterrain" begibt, wenn er Experimente von Quantenphysikern heranzieht, um ein psychisches Problem zu erläutern. In der Physik gelang es, "den Quantenzustand [eines Teilchens] augenblicklich über eine beliebige Entfernung ohne den Transport irgendwelcher Energie oder irgendeines informationstragenden Signals zu übermitteln. Auf diese Art und Weise werden vermutlich auch Gedanken zwischen entfernten Geist-Gehirnen 'teleportiert'." (206) Die Erklärungen, die der Autor für diese ungewöhnliche Ansicht liefert, bleiben unverständlich. So sehr er sich um Klarheit bemüht, hier versagt seine Sprachkunst. Ich bin kein Physiker und kann diese Theorie nicht beurteilen, muss jedoch feststellen, dass ein "Ferndenken in lebenden Systemen" in dem bewährten und sehr detaillierten Fachbuch "Das Gehirn" (Richard F. Thompson, Spektrum Akademischer Verlag, 2. erweiterte Auflage 1994) nicht auftaucht. Offenbar handelt es sich bei FDILS um eine noch sehr spekulative Theorie.
Als Psychologe muss ich Schmid entgegenhalten, dass das lokale Gehirn genügt, um sich in Todesangst, Hoffnungslosigkeit und Todesahnung zu versetzen. Man denkt, was der andere denkt und will (beim Voodoo-Tod durch Verwünschen beispielsweise). Da braucht es kein fragwürdiges Phänomen wie die Teleportation, um zu erklären, wie die Erfahrung, "auf der gleichen Wellenlänge zu sein", zustande kommt. Doch Schmid ist jetzt nicht mehr zu halten. Die Teleportation ist ihm Beweis, dass einzelne Menschen in die Zukunft schauen und den Tod voraussagen können. (Warum nur den Tod? Warum nicht auch Aktienkurse?) "Die nichtlokale Antizipation oder Vorhersage von Ereignissen impliziert eine sofortige Korrelation des individuellen menschlichen Bewußtseins zwischen dem eigenen Geist-Gehirn und (1) einem oder mehreren Geist-Gehirnen, und (2) Umwelt-Ereignissen, falls Quantenwellenreduktionen auf eine nichtlokale Art und Weise in Raum und Zeit zwischen den gegebenen Systemen korreliert sind." (215f) Ich will verdammt sein, wenn das irgend etwas zu bedeuten hat.
Schmids Materialsammlung ist beeindruckend, aber spätestens bei der Teleportation ist klar: das ist keine Wissenschaft, das ist Esoterik. Wissenschaft ist mehr als bloßes Sammeln und Nachplappern. Karl Popper spricht im Zusammenhang mit Psychoanalyse, Individualpsychologie und dem psychologischen System Jungs von "Pseudowissenschaft". Ihre Lehrgebäude bestünden aus Sätzen, die weder beweisbar noch widerlegbar sind. Schmid kommt aus der Jungschen Schule. Dazu muss man wissen, dass Jung ein Meister des Mystizismus früherer Epochen war, ein Spintisierer, der es sich erlaubte, mitten im 20. Jahrhundert in einer Welt der Geister zu leben. Dieser Tradition fühlt sich Schmid offenbar verpflichtet.
Um Wissenschaft zu sein, käme es darauf an, das bloße Sammeln und Ordnen zu überwinden, und das bedeutet: zu überprüfen. Der junge Mann, der im Bericht eines Kongoreisenden nach dem verbotenen Genuß eines Huhn starb, hatte er vielleicht eine Salmonellenvergiftung? Der Metzgerlehrling, der über Nacht in die Kühlkammer eingeschlossen und am nächsten Morgen tot aufgefunden wurde, war er vielleicht erstickt? Jedes einzelne Beispiel wäre auf ihre Plausibilität hin zu befragen. Ich bin ziemlich sicher, es bliebe kaum etwas übrig von den Schauergeschichten über psychogene Tode, womit ihre Existenz noch nicht widerlegt wäre. Nur aus dieser erst noch zu leistenden Arbeit kann Erkenntnis entstehen.
Ein ernsthaftes Problem sehe ich darin, dass einer der größten und renommiertesten internationalen Wissenschaftsverlage, der Springer-Verlag, ein solches Werk in sein Programm aufnahm. Nun gut, mag man einwenden, es ist nur der österreichische Ableger dieses Verlages, doch es bleibt dabei: die Grenze zur Pseudowissenschaft wurde überschritten. Es bleibt ein Rätsel, warum sich der Verlag das antat.

Gerald Mackenthun
Berlin, Mai 2000

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Schmid, Tod durch Vorstellungskraft
Tod durch Vorstellungskraft.


2., aktualis. u. erw. Aufl.

Oder in der nächstgelegenen Buchhandlung! So landen die Steuereinnahmen zumindest in "unserem" Steuersäckel, was theoretisch eine Investition in Bildung und Erziehung ermöglichen würde.
In Bonn-Bad Godesberg z.B. in der Parkbuchhandlung

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