logo

Rosa, Hartmut: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp Verlag 2016, erste Auflage 2018, 815 Seiten


Es ist schon einiges am vorliegenden Text kritisiert worden. Jens Biski hat sich durch die 815 Seiten gequält (Süddeutsche Zeitung, 28.7.2016) und das Grundprinzip physikalischer Resonanz nicht verstanden (Stimmgabeln schwingen nicht mit ihrer jeweils eigenen Frequenz, jedenfalls nicht, wenn sie in Resonanz sind) und sieht im Text anscheinend eine Romantisierung der Kritischen Theorie. Mag sein, dass dem Buch "Präzision" fehlt - aber es liest sich gut, eher wie ein dicker Roman, was der Vermittlung des Inhaltes zugute kommt. Rosa führt das Thema als eine Vertiefung seines "Beschleunigungsbuches" weiter. Die Beschleunigung des kapitalistischen Wirtschaftens (wobei "wirtschaften" schon daneben liegt, denn es würde ja den umsichigen Umgang und Einsatz der verfügbaren Ressourcen bedeuten, nicht die rücksichtslose Ausbeutung) führt nicht nur zu einer Grundhaltung der Konkurrenz, sondern eben zum Verlust der Resonanzfähigkeit der Individuen. Wir wissen heute, dass Kinder im Höchstmaß auf Resonanz angewiesen sind. Hier geht es um ein Einschwingen auf das Erleben und die Bedürfnisse des Kindes. Das bedarf schon allein Zeiträume, in denen es nicht um Effizienz, sondern um Begegnung und Spüren geht. Hat ein Kind diese Basiserfahrungen machen können, fühlt es sich sicher und getragen in der Welt, erlebt diese als grundsätzlich freundlich, schaut eher optimistisch in die Zukunft. Die Welterfahrung des frühen Menschen ist sicherlich eher feindlich gewesen, so dass es ihm um Beherrschung zu tun war. Vielleicht ist dies aber nur eine kapitalistische oder sozialdarwinistische Sichtweise. Stehen wir der Mystik und der Anthropomorphisierung der Natur heute skeptisch gegenüber, so mag dies gleichwohl eine Erfahrung der Natur begünstigen, die eher resonant ist. In der Moderne gab es mit der Romantik eine Epoche der Empfindsamkeit und auch erhöhter Resonanz. Vieles davon ist unter dem Primat des Kapitalismus und der Dominanz der Naturwissenschaften verloren gegangen, als Sehnsucht nach Resonanz aber erhalten geblieben. Konsum soll diese Sehnsucht stillen. Nur findet in diesem Bereich die gleiche Beschleunigung statt, sind sie Dinge von kurzlebiger Wertigkeit. Der kapitalistische Zwang zur Effizienz und zur Erhöhung des Wachstums wirkt sich vielfältig auf die sozialen Beziehungen aus. Die Entfremdung des Menschen nimmt zu. Einerseits durch die immer sinnloser erscheinenden kleinteiligen Arbeitsschritte, vor allem aber durch den ständigen Zwang zur Selbstoptimierung, um so die vorgegebenen Wachstumsziele zu erreichen. Die Chancen für ein Burnout steigen beträchtlich und nach dem Burnout folgt die Depression, die als totaler Rückzug von einer Welt verstanden werden kann, die einem nichts mehr zu sagen hat, in der es keine Antwort gibt, von der fran sich hilflos zurückzieht. Verdinglichung ist ein weiteres wichtiges Stichwort. Alles wird zum Ding, das sich in Geldwert ausdrücken lässt. Beziehungen werden insofern verdinglicht, als sie auf ihren Nutzen für die eigne Effizienzsteigerung abgeklopft werden.

"Stumme Weltbeziehungen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Weltdinge (einschließlich der Menschen und des eigenen Körpers) nur als Ressourcen, Instrumente oder kausale Wirkursachen in den Blick geraten - die Beziehungen zu ihnen sind dann in diesem Sinne verdinglicht; es bildet sich kein vibrierender Draht aus Af-fekten und E-motionen aus, was wiederum auf Seiten des Subjekts als Entfremdung erfahren wird. Verdinglichung beschreibt damit die Bewegung aus dem Subjekt heraus: Die Welt wird als stummes Ding behandelt, während Entfremdung die Art und Weise angibt, in der die Welt begegnet oder erfahren wird" (S. 307).

Smartphone und Co. tragen ihren Teil dazu bei. Die "Kultur des gesenkten Blicks" (Ulrich Grober, zit. n. Rosa, S. 123) selbst führt zu einem Verlust der Resonanz, da sich die Menschen kaum noch anschauen, das Auge "als Fenster zur Seele" (Merleau-Ponty), das seine Möglichkeit zur spontanen und elektrisierenden resonanten Beziehung einbüßt. Scheinbar rückt die Welt näher, wird verfügbarer; vor allem aber ermöglichen diese Geräte den Rückzug von der Welt auf der Suche nach Resonanzerfahrungen oder -ahnungen, die "nichts mit den leiblichen und sozialen Beziehungen zu tun haben" (S. 494). Rosa geht es nicht allein um eine weitere analytische kritische Theorie. Vielmehr interessiert ihn, welche Wege beschritten werden oder doch könnten, um die "Resonanzkatastrophe", den "rasenden Stillstand" (Virilio), den "Alltagsbewältigungsverzweifelungsmodus" (S. 761) aufzuheben. Rosa benennt drei verschiedene Resonanzachsen, die es neu zu entdecken oder zu entwickeln gilt. Sie werden ihm zum Gradmesser eines gelingenden Lebens. Die "horizontale Resonanzachse" betrifft im Wesentlichen alle Bereiche, die dazu geeignet sind, die Mitmenschen in Resonanz zu bringen. Dabei ist dieses "zu bringen" schon eine nicht zutreffende Formulierung. Denn Resonanz kann - anders als in der Physik - nicht willentlich erzeugt werden. Sie entsteht, wenn Begegnung gelingt, derie Mensch*in innerlich ergriffen wird. Resonanzachsen, Resonanz-"Orte" sind Quellen der Entspannung und Resilienz. Wenn allerdings die Menschen heute zum 'Waldbaden' in den Wald gehen, versuchen sie ihre Selbstoptimierung ebenso zu befördern wie im Fitnessstudio. Mit "Anverwandlung von Welt" hat dies aber nichts zu tun.

Zur horizontalen Resonanzachse rechnet Rosa die Familie, dem "Resonanzhafen in stürmischer See" (S. 341), Freundschaften, aber auch die Politik im Sinne eines mitbürgerlichen Engagements, wie es sich derzeit mehr und mehr entwickelt. Rosa ist dabei kein Romantisierer der Familienidylle, er sieht die vielfältigen Probleme und Einengungen mit den entsprechenden Ambivalenzen. Familien zerbrechen u.a. daran, dass sie von den Resonanzerwartungen überfordert sind.

Als "diagonale Resonanzachse" bezeichnet unser Autor die Beziehungen zu Objekten der begegnenden Welt. Wenn die Dinge, mit denen fran sich intensiv auseinandersetzt zu singen beginnen; wenn in der Arbeit das Material zu antworten beginnt; wenn die Schule, die Lehre zu echten Resonanzerfahrungen mit den Lerninhalten werden.

In Religion, Natur, Kunst und Geschichte lassen sich vertikale Resonanzen erfahren. Der aufgeklärte Mensch tut sich mit der Religion schwer oder der heute gerne benutzten Terminologie der 'Spiritualität'. Die Sehnsucht des Menschen, sich 'rückzubinden' kommt hier zum Tragen. Fran muss nicht mit allem einverstanden sein. Gerade der Widerspruch gehört zur Resonanz dazu, die sich erst in der Verständigung einstellt. Fran muss auch nicht in allen Punkten zur Übereinstimmung kommen. Resonanz stellt sich gleichwohl ein, wenn es eine wertschätzende und wechselseitig bereichernde Begegnung war. Voraussetzung ist dazu die Bereitschaft sich zu öffnen, bereit für Veränderung zu sein. Die resonanzarme Gesellschaft führt indes zum sichernden Verschließen.

Ein anregendes, aufregendes Buch!

Bernd Kuck      
September 2019

direkt bestellen:

Resonanz

Oder in der nächstgelegenen Buchhandlung! So landen die Steuereinnahmen zumindest in "unserem" Steuersäckel, was theoretisch eine Investition in Bildung und Erziehung ermöglichen würde.
In Bonn-Bad Godesberg z.B. in der Parkbuchhandlung

zurück