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Oeser, Erhard: Geschichte der Hirnforschung - von der Antike bis zur Gegenwart. Primus Verlag/Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 2002, 288 Seiten, einige Abbildungen, Register, kartoniert.


Das Gehirn ist Stolz und Elend der Menschen zugleich. Mit der beispiellosen Komplexität stieg auch die Störanfälligkeit. Genie und Wahnsinn, Wohltat und Verbrechen liegen eng beisammen, die Grenzen zwischen normal und krank begannen zu verschwimmen. Hirnverletzungen, bei den Gladiatoren Roms bis zu den Soldaten des Zweiten Weltkriegs, sowie Tierversuche erbrachten grundlegende Erkenntnisse. Doch nicht nur Erfolge lagen auf dem Weg der Gehirnforschung, sondern auch Irrtümer, Kontroversen und schwere Straftaten, letzteres wegen der Sektion von lebenden Tieren und Menschen.

Der Wiener Wissenschaftshistoriker Erhard Oeser (geb. 1938) beginnt seine «Geschichte der Hirnforschung» bei den Ägyptern, die einige wesentliche Funktionen des Gehirns kannten, aber die Anfänge der Hirnforschung liegen in der Antike, im Griechenland des 6. Jahrhunderts vor Christus. Das Gehirn sei zuständig für die Wahrnehmungsverarbeitung, für Gedächtnis, Fantasie und Wissen, teilte Alkmaion von Kroton und Diogenes von Apollonia mit. Ihre Beschreibungen sind so detailliert, dass sie nur aus Obduktionen stammen können. Hippokrates lieferte die berühmte Erklärung der Epilepsie und entriss sie der Aura des Göttlichen. Platon und Aristoteles vertraten gegensätzliche Konzepte, die einerseits dem Gehirn, andererseits dem Herzen die zentrale Steuerungsfunktion zuschrieben. Ihre sowohl empirischen als auch philosophischen Darlegungen begründeten einen Jahrhunderte langen Streit zwischen «Zephalozentristen» und «Kardiozentristen».

Die Geschichte der Hirnforschung ist zwar zweieinhalbtausend Jahre alt, aber nach Galen von Pergamon (ca. 130 - ca. 200 nach Christus), der die Säftelehre zementierte, passierte in der Medizin Jahrhunderte lang überhaupt nichts mehr. Die großen Kirchen schafften es mit Erfolg, die Sektion als nicht gottgemäß zu ächten und überhaupt jeden medizinischem Erkenntnisfortschritt zu verhindern. Satt dessen wurden die antiken Lehren gut eineinhalb Jahrtausende unkritisch tradiert, ohne etwas Eigenes oder Neues hinzu zu fügen. Erst Andreas Vesalius (1514 - 1564) zählt als eigentlicher Begründer der neuzeitlichen Anatomie.

Das Herz als Sitz der Seele entpuppte sich als einfacher, wenn auch kräftiger Muskel und verlor seine Bedeutung als Zentralorgan von Gefühlen. Wird das Gehirn als Organ des Geistes das gleiche Schicksal erleiden? Fortschritt besteht oftmals darin, mehr alte Irrtümer und Vorurteile einzureißen als neue Erkenntnisse aufzubauen. Doch die meisten sind sich einig, dass es besser sei, die enttäuschende Wahrheit zu kennen, als illusorisches Wissen zu besitzen. Wissenschaft erwies sich in der Neuzeit als System, dass die Fähigkeit zur Selbstkorrektur besitzt. Es ergaben sich praktisch nützliche Erkenntnisse über Verhaltens- und Sprachstörungen, Geistes- und Gemütskrankheiten. Die Hirnforschung rechtfertigt sich nicht nur durch die Fortschritte in der Medizin, was allein schon den Aufwand rechtfertigen würde. Vielmehr besteht die Hoffnung, eine der größten Fragen der Menschheit zu lösen, die nach dem Zusammenhang von Gehirn und Geist.

Physiologen und Anatomen haben dabei immer wieder über die so genannten kognitiven Funktionen des Gehirns nachgedacht. Oeser, seit 1986 Vorstand des Instituts für Wissenschaftstheorie der Universität Wien, ist der Meinung, dass auf der anderen Seite weite Teile der Psychologie dem weit hinterher hinken und sich einer Grenzüberschreitung widersetzten.  Es war eine unverzeihliche Gedankenlosigkeit, schreibt Oeser, in einer reinen «Philosophie des Geistes» jeden Bezug zum Hirngeschehen mit dem Einwand zu verbieten, dass es sich doch nur um eine Materialisierung des Geistes handele. Bereits vor 100 Jahren schrieb der Psychiater Paul Emil Flechsig (1847 - 1929), es sei eine wahrhaft naive Annahme, die Funktionslehre eines Organs wie das Gehirn zu entwickeln, ohne das Organ selbst zu kennen. Die Psychologie sei diesbezüglich reich an seltsamen Einfällen und arm an fruchtbaren Gesichtspunkten. Der Behaviorismus sah alle kognitiven Leistungen wie Bewußtsein, Wahrnehmung und Gedächtnis als irrelevant für die Forschung an.

Wer einen Überblick über den aktuellen Stand der Hirnforschung sucht, sollte jedoch nicht zu Oeser greifen, sondern zu Gerhard Roth: Das Gehirn und seine Wirklichkeit. Kognitive Neurobiologie und ihre philosophischen Konsequenzen. Suhrkamp, Frankfurt/Main 1994. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde die rein empirisch vorgehende Hirnforschung und die kognitive Psychologie verlassen zu Gunsten eines interdisziplinären Ansatzes, in welchen mehr als in anderen Forschungsbereichen Natur- und Geisteswissenschaften zusammenarbeiten könnten. Nur beiden Wissenschaftsrichtungen gemeinsam wird es gelingen, das Rätsel aller Rätsel zu lösen.

Gerald Mackenthun
Berlin, Oktober 2002

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