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Lerner Gerda: Feuerkraut. Eine politische Autobiografie, Czernin Verlag, Wien 2014.


Gerda Kronstein wurde 1920 in Wien geboren und verstarb im Januar 2013 in Madison, Wisconsin, USA. Aufmerksam wurde ich auf sie durch eine Filmdokumentation von Renate Keller, „Warum Frauen Berge besteigen sollten“ (Absolut Medien). Da stieß ich, der doch eigentlich immer an der Thematik der Emanzipation des Menschen, also auch der Frauen, interessiert war, auf eine Bildungslücke. Alice Schwarzer kannte sie natürlich, hat sie im Jahr 2000 auch interviewt.

Die Lebensgeschichte und ihr Lebenswerk sind interessant und bedeutsam. Sie stand kurz vor dem Abitur, als Hitler und die deutschen Soldaten in Österreich einmarschierten. Gab es da anfangs noch Widerstand gegen den aufziehenden Nationalsozialismus in Deutschland, so wurde Hitler 1938 schließlich begeistert empfangen. Es dauerte dann auch nicht lange, bis der in Österreich längst schwelende Antisemitismus seine unverstellte Fratze zeigte. Die Verfolgung der Juden setzte nun hemmungslos ein und Gerda Kronstein wurde – wie auch ihre Mutter – inhaftiert. Quasi durch Beugehaft sollten sie dafür sorgen, dass der Vater, ein recht wohlhabender Apotheker, der sich vorsorglich zur Eröffnung einer Apotheke nach Liechtenstein abgesetzt hatte, wieder nach Österreich zurückkehrt. Gerda konnte dann durch bloßen Zufall doch noch ihre Matura ablegen. Ein zum Nazioffizier aufgestiegener Gymnasiallehrer teilte zufällig ihre Begeisterung für die deutsche Ballade und entließ sie aus dem Gefängnis.

Es gelang ihnen dann Österreich in Richtung Schweiz zu verlassen, wobei auch in dieser Biografie deutlich wird, welch unrühmliche Rolle die Schweiz spielte. Letztlich konnte Gerdas Vater einen bescheidenen Lebensunterhalt in Liechtenstein sicher stellen. Ihre Mutter fand es dort jedoch zu provinziell und sie suchte mehr Anregung für ihrer Malerei in Südfrankreich. Gerda war verlobt mit einem jungen Mann, wohl nicht gerade ihre große Liebe, aber mit Kontakten in die USA. Nach vielen Wirren und Schwierigkeiten konnte sie schließlich in die USA emigrieren. Sie musste dort dann innert kurzer Frist ihren Verlobten heiraten, um nicht wieder ausgewiesen zu werden. Am Rand sei nur erwähnt, dass sie die gleichen Hindernisse und Unmenschlichkeiten zu erdulden hatte, immer in der Angst, wieder abgeschoben zu werden, wie dies heute den Flüchtlingen ergeht, die mit Folter und Tod in ihrem Herkunftsland bedroht sind. Im Interview mit Frau Schwarzer teilt sie mit, dass sie in USA jeden Job angenommen habe, den sie bekommen konnte und sehr lange Zeit ging es ums bloße Überleben. Die Ehe hielt nicht und ein wenig leichter wurde es für sie, nachdem sie Carl Lerner (amerikanischer Staatsbürger) kennen gelernt hatte. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Röntgenassistentin, er konnte sich als Cutter ausbilden lassen. Erst spät kamen sie zu einer gewissen materiellen Sicherheit. Nach langsamer Annäherung entdeckten sie ihre Liebe für einander, die viele Krisen überstand und 33 Jahre währte, ehe Carl Lerner nach schwerer Krankheit verstarb.

Besonders erschütternd für Gerda Lerner war es dann, dass sie dem entronnenen Naziwahnsinn in Gestalt der wahnhaften Kommunistenangst begegnete. War sie zunächst begeistert von der amerikanischen Demokratie, so musste sie wieder in Angst leben, aller materiellen Grundlage verlustig zu gehen. „Kauft nicht bei Juden“, war die Losung bei den Nazis; hier gab es nun ein Denunziantentum, das dazu führen konnte, dass mensch in Hollywood keine Anstellung im Filmgewerbe mehr fand. Lerners waren Sympathisanten des Kommunismus und ähnlich gutgläubig hinsichtlich der Entstehung einer sozialistischen Gesellschaft in Russland; wie viele Intellektuelle der Zeit. Die Ernüchterung ließ sich nicht mehr abwenden, als immer deutlicher wurde, welche Gestalt der Terror Stalins annahm. Die Lerners wandten sich mehr und mehr von der Marxistisch-Leninistischen-Idee ab, die sie im Kern als autoritär strukturiert erkannten. Besonders Gerda Lerner sah in dieser Ideologie geradezu eine Gegnerschaft, wenn es um Frauenrechte ging.

„Die marxistische Analyse ging nie weiter als jene des bürgerlichen Liberalismus, der um Frauenrechte kämpfte, und sie tat nichts, um die wahre Emanzipation der Frauen zu fördern. Der bolschewistische Begriff der »Diktatur des Proletariats« zerstörte automatisch die Grundlage für freiwillige Basisorganisationen aller Art und machte damit die Zerstörung einer autonomen Frauenbewegung unvermeidlich. Ohne diese sind jedoch sowohl Frauenrechte als auch Frauenemanzipation unerreichbar“ (S. 506f).

Die Kommunistenhatz der 50er Jahre ist eines der dunklen Kapitel der amerikanischen Geschichte; in ihr ist dieses Kapitel als McCarthy Ära eingegangen, die den „Kalten Krieg“ einleitete. Nebenbei: es war keine Erfindung von McCarthy, sondern er hat den „Kalten Krieg“ und die Kommunistenhatz gleichsam nur am lautesten auf seine Fahnen geschrieben.
Ein anderes besonders dunkles Kapitel amerikanischer Geschichte ist die Sklaverei und nach deren Abschaffung die Diskriminierung der Schwarzen durch die „Rassentrennung“. Auch hier engagierten sich die Lerners. Gerda war schon länger im Congress of American Women engagiert. In Arbeitsgruppen war sie aktiv, obwohl sie für die inzwischen zwei Kinder die Hauptverantwortung trug. Sie, die doch selbst Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren hatte, musste feststellen, dass sie selbst nicht frei war von Ängstlichkeit, was wohl die Nachbarn von ihr denken würden, wenn zu ihre schwarze Frauen ins Haus kämen. Die Frauen in der Arbeitsgruppe waren umschichtig mit der Ausrichtung des Treffens betraut – und Lerner war kurz davor, das Treffen abzusagen; wegen der Nachbarn. Sie war mutig genug, das Treffen nicht abzusagen!

Die Lerners hatten schon immer die aufkommende Bürgerrechtsbewegung mit lebhaftem Interesse verfolgt. Da gab es den Bus-Boykott in Montgomery, Alabama, sowie den Kampf um die Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen im Süden. Anfang 1957 schlossen sich Vertreter der fünfundsiebzig afroamerikanischen Organisationen zusammen und organisierten einen Gebets- und Pilgermarsch für den Frieden nach Washington D.C.. Hier trat bereits der charismatische Prediger Martin Luther King in Erscheinung. Carl Lerner drehte auf eigene Kosten und mit Unterstützung von KollegInnen einen Film über diese große Demonstration. Sie war der Vorläufer des späteren Marsch auf Washington (28. August 1963), auf dem die berühmt gewordenen Worte Martin Luther Kings gesprochen wurden: „I have a dream!“ Der Dokumentarfilm verschwand in der Versenkung, anscheinend wegen infantiler Streitigkeiten der Wortführer, und/oder wegen der Angst, die ganze Aktion könnte wegen der Vergangenheit von Lerners Sympathien für die KP gefährdet werden. Darüber hinaus hatte Carl Lerner aus Großzügigkeit alle Rechte an dem Film den Organisatoren überlassen.

1958 endlich nahm Gerda Lerner ihr Studium an der New School for Social Reserch in New York City auf. Sie belegte Vorlesungen über englische Grammatik, in der sie sich immer wieder unsicher fühlte, was ihr bei ihren Romanprojekten hinderlich war. Ihre neue Leidenschaft galt dann aber der Geschichte. Sie schrieb sich an der New School als Teilzeitstudentin in Geschichte ein und machte in vier Jahren ihren Bakkalaureats-Abschluss. Anschließend innerhalb von drei Jahren ihren Master an der Columbia University, an der sie schließlich mit einer Biografie Der Grimké Schwestern (Sarah Moore Grimké (1792–1873) und Angelina Emily Grimké (1805–1879)) promoviert wurde (Lerner, Gerda, The Grimké Sisters From South Carolina: Pioneers for Women's Rights and Abolition. New York, Schocken Books, 1971 und The University of North Carolina Press, Cary, North Carolina, 1998). Die Schwestern waren die ersten weißen Frauen, die sich für die Abschaffung der Sklaverei und für die Rechte der Frauen einsetzten.1

1963 hielt Gerda Lerner ihr erstes Seminar über Frauengeschichte an der New School. Was zunächst nur der Vertiefung ihrer Kenntnisse für ihre schriftstellerische Arbeit dienen sollte, wurde zu ihrem neuen Lebensinhalt. 1973 verstarb ihr Mann nach langer Krankheit. Im Alter von sechzig Jahren zog Gerda Lerner 1980 nach Wisconsin, wo sie an der dortigen Universität einen Lehrstuhl für Frauengeschichte begründete – ein Novum. Noch mit neunundsiebzig Jahren lehrte sie an der Duke Universität in North Carolina.

„Meine Überzeugungen waren ernsthaft und entstammten meiner persönlichen Erfahrung als Antifaschistin, als Jüdin, als arbeitslose Immigrantin, als Frau“ (S. 503).

Der Ekel erregenden Gleichschaltung in den 1950er Jahren in den USA, wo Menschen andere, Freunde und KollegInnen als Kommunisten denunzierten, sie so der Arbeitslosigkeit und dem Verlust ihres Ansehens auslieferten, erinnerte Gerda Lerner an die Gleichschaltung und die „guten Deutschen“, dass sie Widerstand leisten musste.

In ihrem historischen Fach legte sie einige wichtige Schriften vor, die teilweise in deutscher Übersetzung zugänglich sind: Die Entstehung des Patriarchats, Campus 1991; Die Entstehung des feministischen Bewußtseins. Vom Mittelalter bis zur ersten Frauenbewegung, Campus 1993; Frauen finden ihre Vergangenheit. Grundlagen der Frauengeschichte, Campus 1995; Zukunft braucht Vergangenheit. Warum Geschichte uns angeht, Helmer 2002.

Gerda Lerner ließ sich von dem Wissen um die Sterblichkeit; dem Wissen, dass die Welt schlecht ist; dem Wissen, dass wir korrupt werden können leiten. Indem wir so handeln, als ob dies alles nicht der Fall wäre, „werden wir tatsächlich besser als wir sind, wir ändern uns und unsere Mitmenschen. Wir bauen eine Zukunft“ (S. 509).

„Wenn ein Waldfeuer über eine Berghalde gerast ist und alles schwarz, verbrannt und verdorrt hinterlassen hat, dann kommt es einem vor als ob die Möglichkeit des Lebens, neuen Lebens, in dieser Öde einfach nicht mehr bestünde. Und dann kommt das Feuerkraut aus der toten Erde, zuerst mit grünen Sprossen, dann mit rosa Blüten“ (ebd.).

Bernd Kuck      
Mai 2023

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