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Lemma, Alessandra: Der Körper spricht immer. Körperlichkeit in psychoanalytischen Therapien und jenseits der Couch. Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2018, 292 Seiten, 29,90 €


Eine der Grundauffassungen der Autorin besteht darin, dass der Mensch immer „embodiet“, verkörpert ist, folglich der Körper in Analysen nicht unbeachtet bleiben dürfe. Darin liegt bereits eines der Grundprobleme: Die Trennung zwischen Körper und Geist wird so nicht aufgehoben, die Einheit von Körper und Geist, die Lemma betont, nicht hergestellt. Im Englischen gibt es kein äquivalentes Wort für die Leiblichkeit. In diesem Begriff scheint mir die Einheit der lebendigen Existenz noch erhalten. Die Rede von Körper-Seele-Geist hingegen spaltet auf und führt zum Externalisieren des Körpers als Objekt der Betrachtung. Diese Position verlässt auch Lemma nicht. Zwar bezieht sie ihre eigene leibliche Gegenübertragung in ihre Wahrnehmung ein und versucht sie zum besseren Verständnis der Leiblichkeit ihrer Patient:innen zu nutzen. Und obwohl sie die Couch nicht als zwingend für die analytische Behandlung erachtet und auch im vis a vis arbeitet, bleibt die Spaltung in Körper und Geist erhalten. Sie bewegt sich damit im alten psychoanalytischen Feld und denkt über den „Körper“ nach, belässt ihn im phantasmatischen Raum, bleibt er im Sessel oder auf der Couch gebannt. Der Leib bleibt das Ding, das beobachtet, seziert oder nach Belieben geformt werden kann. Was Lemma „jenseits der Couch“ an der „Barbarei der Makeover-Sendung“ kritisiert – wir werden darin zu Voyeur:innen der Körpermodifizierung anderer -, kann sie in ihrer Arbeit an der inneren Realität ihrer Patient:innen nicht überwinden, da sie die Subjekt-Objekt-Haltung nicht wirklich aufgibt. Dies wird allein schon in der Aufrechterhaltung der Überschätzung von Deutungen sichtbar. Sie will weiterhin über den „Körper“ „nachdenken“ und spart so das Erleben aus. So sind denn einige Redewendungen auch recht technisch, wenn sie „den Körper der Patientin oder des Patienten“ sowie ihren eigenen „im Auge behalten“ und ihre eigenen „blinden Flecken überwachen“ (S. 48) will.

Frau Lemma hängt auch weiterhin an überholten psychoanalytischen Konstrukten. Etwa der Symbiose als Entwicklungsstadium oder den teilweise abstrusen kleinianischen Phantasien über den Menschen, die eher perverse erwachsene Phantasmen widerspiegeln als Ergebnisse der modernen Säuglingsforschung. So sei „der primitivste Prototyp des Neids der Neid auf die physischen Möglichkeiten des Körpers der anderen Person […], die dem Selbst gefühlt vorenthalten sind: Dem Neid auf die nährende Fähigkeit der Brust folgt der Neid auf die Fähigkeit der Mutter, sexuelle Lust vom Penis des Vaters zu beziehen und sich fortzupflanzen“ (S. 64). Das kommt vor, ist aber wohl kaum die Regel und wir haben doch die Vorstellung vom polimorph-perversen Säugling hinter uns gelassen – oder doch nicht? Die moderne Säuglingsforschung scheint Lemma auch nicht rezipiert zu haben. Selbst im Literaturverzeichnis taucht Daniel Stern nicht auf, der anscheinend in manchen analytischen Kreisen immer noch als Verräter gilt (Geißler 2016, S. 7). Fonagy mit seinem „Mentalisierungskonzept“ schon, Beebe und Lachmann, die sich mit den Folgen frühkindlich erworbener interaktioneller Muster auf den analytischen Prozess befassen, schon nicht mehr.

Das sind eher grundsätzliche Bedenken, die eine psychoanalytische Betrachtungsweise nicht diskreditieren, denn im vorliegenden Buch gibt es sehr tiefgründige Überlegungen zur Transsexualität und zu geschlechtsangleichenden Operationen. Über das Aufwachsen in einer virtuellen Welt und den Folgen für die Leiblichkeit der Adoleszent:innen. Einer Interpretation von Amoldóvars Film Die Haut, in der ich wohne. Überlegungen zur Bedeutung der Kopfhaare (und deren inszenierender Drapierung auf der Couch) – immerhin schauen Analytiker:innen stundenlang auf das Kopfhaar ihrer Patient:innen. Ferner zur Psychodynamik der Benutzung der Toilette ders Analytiker:in. Ihre Überlegungen macht Lemma an Fallvignetten deutlich, nicht immer an den zwischen den Zeilen durch die Deutungen anklingenden apodiktischen Behauptungen nachvollziehbar. Einem leiborientiert arbeitenden Analytiker fallen da einige inszenierende Interventionen ein, auch Berührungsangebote, die den Patient:innen zu wirklichem Erleben verhelfen könnten. Lemma bleibt aber im phantasmatischen Denkraum und will schon versprachlichen, was im vorsprachlichen Erleben verborgen bleibt, aus dem intrinsischen Leibgedächtnis erst ins Erleben gehoben werden müsste.

Literatur

Geißler, Peter (Hg.): Sternstunden. Daniel Sterns Lebenswerk in seiner Bedeutung für Psychoanalyse und Psychotherapie, Psychosozial Verlag 2016

Bernd Kuck      
Januar 2021

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Der Körper spricht immer

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