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Haubl, Rolf: Neidisch sind immer nur die anderen - Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein. Verlag C.H.Beck, München 2001, 325 Seiten, 13 Abbildungen


Neid gehört zum Menschen wie das Atmen. Seine Ausprägung ist in den unterschiedlichen Gesellschaft verschieden, aber alle Kulturen und Gruppen tarieren Neiderregung und Neiddämpfung auf subtile Art aus. Der Germanist, Psychologe und Gruppenanalytiker Rolf Haubl, Professor an der Wirtschaft- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Augsburg, spricht von einem "Neid-Klima", von dem die meisten kein klares Bewusstsein haben dürften. Beneidet werden kann alles und jeder, doch besonders beneidet werden knappe Güter.

An Neid-Büchern ist inzwischen keinen Mangel mehr und man fragt sich, was ein Autor diesem Thema noch abgewinnen kann. Haubls Buch "Neidisch sind immer nur die anderen" (Beck Verlag, München 2001) ist dabei gewiss auf der Höhe der Zeit. Von der Bibel bis zur Weltliteratur hat er alle bekannten Beispiele ("Othello") in seinem Repertoire und kann darüber hinaus noch einige schöne weitere Fundstellen präsentieren. So gut wie alle anderen seelischen Regungen auch, kann der Neid verschiedene Ausformungen annehmen. Haubl differenziert vier Formen: der feindselig-schädigende Neid, der ehrgeizig-stimulierende Neid, der empört-rechtende Neid und der depressiv-lähmende Neid.

Im Christentum sind alle Neidformen gleich verpönt, Neid ist eine Todsünde. Aus den USA hingegen erreichen uns Büchern mit der frohen Kunde, das der ehrgeizig-stimulierende Neid wichtiger Antrieb für die Entwicklung des Individuums sein kann, natürlich - wie aus dem Kernland des Kapitalismus gewohnt - um erfolgreicher zu sein und mehr Geld zu machen. Diese Vorstellung ist zu simpel, als dass sie funktionieren könnte. Die Rückseite dieser Neid-Medaille sind Selbstvergiftung und Selbstzerfleischung. Der Neider frisst Ärger, Wut und Hass in sich hinein.

Sich nur der positiven Seite des Neides zuzuwenden vermeidet Haubl, der die feindselige, gefährliche Seite des Neides samt Wut, Heuchelei, übler Nachrede, Streit, Eifersucht und die Unfähigkeit zum Verzicht beleuchtet. Neid stimuliert das Verlangen, den Erfolg des anderen zu verderben. Herabsetzende Gerüchte gehören zu den schärfsten Waffen neidischer Personen. Der Neid kann sich steigern zu Zynismus, Nihilismus (nichts ist wert, geliebt zu werden) und weiter zu Totalitarismus und Weltzerstörung (ich vernichte alles, weil ich es nicht besitzen kann). Neid ist aber auch Selbstwertschutz und Bewältigungsmechanismus.

Wohl über keinen Neid ist so heftig gestritten worden wie der Penisneid. Haubl mag Gruppenanalytiker sein - vor Freud sinkt er nicht in die Knie. Seine Kritik an diesem umstrittenen Konzept ist gescheit ausgeführt, und er versäumt es nicht, dem den Neid der Männer auf Fähigkeiten und Vorzüge der Frau entgegenzustellen. Die Ödipussage erfährt bei Haubl als Beispiel für Neid des Vaters auf den neugeborenen Sohn eine Neudeutung, die überzeugender scheint als die des Gründers der Psychoanalyse, der unter Missachtung des Einleitungsteils der Sage daraus den "Ödipuskomplex" strickt.

Der Neid als innerpsychologische Haltung ist oftmals beschrieben worden, so dass hier nicht weiter darauf eingegangen werden braucht. Die Besonderheit von Haubls Buch besteht darin, nach verständigen Betrachtungen über den individuellen Umgang mit Neid sowie Geschlechterneid und Neid unter Geschwistern ausführlich auf den Neid unter den Generationen und den Sozialneid zu sprechen zu kommen. Denn: Kein Neid ohne sozialen Vergleich! Die Gegenüberstellung fällt desto krasser aus, je näher der Beneidete einem selbst steht. Kein Wunder, der Vergleich ist leichter möglich. Das bedeutet aber auch, dass selbst elitäre Gesellschaften es nicht schaffen werden, den Neid zu eliminieren. Er kann minimiert werden, beispielsweise indem der Stolz angefacht wird, alle zusammen seien etwas besseres. Gruppen- oder Nationalstolz kann Gruppen- oder Klassenneid überdecken.

Der zunehmend auch bei uns gepflegte ehrgeizig-stimulierende Neid hat sich vom christlichen Neidverbot weit entfernt. In den USA wird offen propagiert, besser zu sein und den anderen zu besiegen; er ist das Gegenteil von Gemeinschaftsgefühl. Die Werbung spielt immer häufiger offen mit dem Neidaffekt - Haubl hat einige anschauliche Beispiele gesammelt. Eine der Auswirkungen des Neides, die Rivalität, soll zum eigenen Vorteil instrumentalisiert werden. Selten ist dann davon die Rede, dass das auch schief gehen kann. Der Neider achtet nur auf den Nutzen, den er dem Besitz eines Gutes unterstellt. Mögliche Kosten übersieht er dagegen. Neid mag in Arbeitseifer sublimiert werden, aber es droht vorzeitiger Verschleiß; das Ziel der Zufriedenheit oder gar Glückseligkeit wird im rein materiellen Streben verfehlt. Reich sein macht nicht unbedingt glücklich, der Glückseffekt verbraucht sich sogar überraschend schnell. Daraus folgt aber nicht zwangsläufig, dass Arme glücklich sind.

Neid ist nicht nur erklärbar, sondern sogar entschuldbar in ungerechten Gesellschaften mit stark ungleicher Güterverteilung. Neid kann Ehrgeiz stimulieren, wenn der Unterprivilegierte die prinzipiell selben Rechte hat, das begehrte Gut zu erwerben wie der beneidete Privilegierte. Diese Konstellation gehört zu den Grundanschauungen der US-amerikanischen Gesellschaft mit seinen starken sozialen Unterschieden. Werden gleiche Rechte verweigert, schlägt Neid in Empörung und moralische Forderungen um, beispielsweise bei den armen Landbauern in Mexiko.

Der "Neid der Besitzlosen" kann gerechtfertigt und ungerechtfertigt sein. Besitzlose können neidisch und nicht neidisch sein. Sie können zufrieden und unzufrieden sein. Sie können z.B. neidisch sein und doch anerkennen, dass der Beneidete einfach mehr geleistet hat, als man selbst von seinem eigenen Vermögen her will oder kann. Eine Gesellschaft kann niemals von allen als vollkommen gerecht angesehen werden, denn es gibt verschiedene Gerechtigkeitsnormen, die Haubl diskutiert. Was den Neid angeht, so werden die Menschen und die Gesellschaften an diesem Punkt niemals zur völligen Ruhe kommen können.

Das Buch bietet keine neuen oder überraschenden Erkenntnisse, ist aber gründlich recherchiert und geschrieben. Leider fehlt ein Namens- und Sachregister. Es ist umfassender als andere Bücher zum gleichen Thema, da Haubl die innerpsychischen und innerfamiliären Sphären verlässt und den Gegenstand auf Gruppen und Gesellschaften anwendet. Nur eine winzige Unebenheit fiel mir auf, als nämlich Haubl auf S. 215 vom "abgezockten Broker" (an der Börse) spricht, vermutlich aber den "abgebrühten Zocker" meint. Für ein klein wenig problematisch halte ich es, beim Thema Mobbing (dessen Motor oft der Neid ist) die Sympathie einseitig auf die Gemobbten zu verteilen. Die Rolle des Gemobbten ist nicht immer nur die eines ungerecht Behandelten, sondern oftmals auch die eines Querulanten, Miesepeters und Faulenzers, der von den anderen geschnitten wird.

Der Untertitel "Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein" mag in einigen Lesern die Hoffnung wecken, sie könnten etwas über den produktiven Umgang mit ihrem eigenen Neid erfahren. Doch Haubl ist sparsam mit Hinweisen darauf, wie man mit dem Neid lebt, ohne dass er unser Wohlbefinden zersetzt. Es ist kein Ratgeberbuch, sondern ein kluges Lern- und Lesebuch, das mit der Erörterung von so wichtigen Begriffen wie Gerechtigkeit und Glück tief in die Philosophie eintaucht.

Gerald Mackenthun
Berlin, Januar 2002

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