Hagemann,
Wolfgang: Nach
der Krebsdiagnose. Systemische Hilfe für Betroffene, ihre Angehörigen
und Helfer. Mit Beiträgen von Klaus Wehle und Gabi Enders. Fotos von Anne E. Stärk;
Vandenhoeck & Ruprecht, 2003, 160 Seiten.
Der Autor stellt einen systemisch-integrativen
Behandlungsansatz vor, wie er ihn in seiner Klinik entwickelt und wie er sich
dort bewährt hat, sowie eine Differentialindikation für ambulante, klinische
und tagesklinische Behandlung. Dieser integrative Ansatz scheint mir als ein
weiteres dringliches Argument für die Erweiterung der bisherigen
Richtlinientherapie, in welcher offiziell diese Öffnung noch immer „nicht
gestattet“ ist.
Zunächst wird auf die Diagnose Krebs und ihre
gesellschaftliche als auch ihrer Bedeutung für den einzelnen und dessen
Beziehungsumfeld Familie eingegangen. Der Autor macht deutlich: nicht allein der
einzelne ist betroffen, sondern alle
Beteiligten leiden mit und finden sich oft in einem „emotionalen
Durcheinander“ aus Orientierungslosigkeit, gegenseitiger Sprachlosigkeit,
Hilflosigkeits- und Überforderungsgefühlen
wieder. Der psychotherapeutische Blick richtet sich somit nicht allein auf den
einzelnen und das Verständnis des eigenen Werdens im Kontext diverser
Beziehungserfahrungen. Um allen Betroffenen (Patient, dessen Familie und anderen
nahen Personen) möglichst frühzeitig Gelegenheit für eine neue Balance zu
geben, plädiert der Autor dafür, sich als Behandler bald nach der
psychotherapeutischen Diagnosestellung, einen gründlichen Überblick über
familiäre Strukturen und Beziehungsmuster des Patienten zu verschaffen und
bezieht gegebenenfalls Ehepartner und Kinder aktiv mit ein, um Ängste und Nöte,
sowie Mythen, Krankheitserfahrungen, unterschwellige Konflikte zu erfassen und
Bewältigungsstrategien der Kernfamilie in die Behandlung mit einzubeziehen.
Nach kurzen theoretischen Überlegungen und einer
Einordnung der systemischen Diagnostik im psychotherapeutischen Kontext,
folgt das Beste und Zentrale dieses Buches: „Eine Familienaufstellung
in 5 Akten“, in welchen der systemisch-integrative Ansatz anschaulich,
lebendig und bildreich dargestellt und die Krebserkrankung
in ihrer dynamischen Auswirkung auf das Familienleben verdeutlicht wird.
Als ärztlicher Leiter der Röher Parkklinik gibt er
Einblick in das multimodale Therapiekonzept dieser Klinik und veranschaulicht an
zwei Fallbeispielen diesen Ansatz.
Der Fallbericht über eine psychotherapeutische Behandlung
einer an Brustkrebs erkrankten Patientin von Klaus Wehle – inhaltlich
sicherlich von Interesse – wirkt wie im letzten Moment angeheftet; enthält
einige Rechtschreibfehler und erinnert eher an einen Bericht an den Gutachter.
Und, liest sich auch so. Das verstimmt und hinterlässt den Eindruck, als müssten
dringend Seiten für ein Buch zusammenkommen.
Unverständlich ist mir, dass ausschließlich von
„psychotherapeutischer Medizin“ und lediglich von „Ärzten als
Psychotherapeuten“ die Rede ist. Dass auch Psychologen psychotherapeutisch tätig
sind, wird hier mit keinem Wort erwähnt. Existiert diese Berufsgruppe für
Herrn Hagemann nicht? Diese Spaltung scheint in einigen Kreisen noch nicht überwunden.
Ob hier eine „systemische Berufsgruppenaufstellung“ hilfreich und klärend
sein könnte?
Erfreulich der Aufsatz von Gabi Enders über Kinder von
krebskranken Eltern. Weniger erfreulich, dass es ihren Recherchen nach wenig an
Fachliteratur über Verarbeitungs- und Bewältigungsstrategien der Kinder zu
diesem Thema gibt. In diesem Aufsatz kommt u.a. eine Jugendliche zu Wort, die,
mit Krebserkrankung und Tod der Mutter konfrontiert, über ihren eigenen
Weg der Verarbeitung erzählt . Ein positives Beispiel für gelungene
Zusammenarbeit und offener Kommunikation aller an diesem Prozess Beteiligten.
Bonn,
März 2003
Ingritt Sachse, „Psychologische Psychotherapeutin“
direkt bestellen:
Nach der Krebsdiagnose.