Graf,
Helmut: Psychotherapie in der Arbeitswelt.
Springer Verlag Wien/New York 2003. XIII, 213 Seiten, 4 Abbildungen, broschiert.
In einer Zeit zunehmender Globalisierung,
Rationalisierung und Ökonomisierung, in der „Human resources“ nicht hoch im
Kurs stehen und nur als Kostenfaktor gesehen werden, tut es not, daß Ansätze diskutiert
werden, die sich mit der Emotionalität des Menschen am Arbeitsplatz
auseinandersetzen. Der österreichische Psychologe und Psychotherapeut Helmut
Graf, der sich der Logotherapie und Existenzanalyse (V. E. Frankl) sowie der
systemischen Sichtweise verbunden fühlt, hat eine Studie zur Etablierung und
Legitimierung der Psychotherapie in der Wirtschaft bzw. Arbeitswelt vorgelegt.
Ausgangspunkt der Darstellung ist eine wissenschaftliche Untersuchung, die ein
inzwischen überdenkenswürdiges Ausmaß
an psychosozialen Belastungen und psychosomatischen Beschwerden auf allen
Hierarchie-Stufen und in allen Berufszweigen beschreibt. Dabei werden als
psychosoziale Belastungen u.a. demotivierendes Betriebsklima, Führungsprobleme,
unsicherer Arbeitsplatz, mangelnder Sinn im Berufsleben, zu geringe Entfaltung
eigener Fähigkeiten und Mobbing beschrieben. Psychosomatische Beschwerden,
welche die Motivation beeinflussen können werden u.a. mit Rückenschmerzen, Müdigkeit,
Konzentrationsproblemen, Stimmungsschwankungen, Nervosität und Schlafstörungen
angegeben. Als Ergebnis der Untersuchung wird geschildert, daß ein zunehmender
Teil von Personalmanagern offen für ganzheitliche Betrachtungsweisen eintreten
und der Frage nach dem Sinn bzw. der Motivation zur Arbeit immer mehr Bedeutung
zumessen.
In anschaulichen Beispielen aus
verschiedenen betrieblichen Praxisfeldern wie z.B. Human Resource Management,
Personalentwicklung, Betriebsübergaben, betriebliche Gesundheitsförderung und
Krisenintervention (Burnout, Mobbing, Alkohol- und Suchtprävention, Integration
nach längerer Krankheit sowie Traumatisierung nach Arbeitsunfällen) wird
Einblick in die Tätigkeit psychotherapeutischen Handelns in der Arbeitssphäre
gegeben. Daraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, Psychotherapie als eigenständigen
Gesundheitsberuf neben Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie zu etablieren.
Dabei warnt der Autor vor der Gefahr, daß selbsternannte „TherapeutInnen“
über Kommunikations-Trainings oder Mediation „psychologisch-
psychotherapeutisch“ tätig werden, ohne über die, zum Schutze der Klienten,
erforderliche Ausbildung zu verfügen oder den Anforderungen des Psychotherapiegesetzes (in
Österreich ist dieses Gesetz weiter gefaßt als in Deutschland und schließt
systemische und humanistische Ansätze mit ein) zu entsprechen.
Der Autor bedient sich bei seiner
Argumentation zur Begründung der Etabilierung der Psychotherapie im
Arbeitsleben der Logotherapie und Existenzanalyse nach Viktor E. Frankl. Als
Grundlage dieser theoretischen Betrachtungsweise ist die Frage nach dem Sinn
wesentlich, der in den Ausführungen mit Motivation gleichgesetzt wird. Auf die
Arbeitswelt angewendet bedeutet dies, daß Arbeit als Identitätsstiftung und
zur Identitätsgewinnung beitragen und Sinnfindung und Sinnentfaltung ermöglichen
muß, um motivierend zu wirken. Dabei entsteht Sinn, indem Werte in drei
Hauptfeldern verwirklicht werden, wie den sogenannten „schöpferischen
Werten“ (Leistungsfähigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeit), den
„Erlebniswerten“ (Erleben im sozialen Für- und Miteinander, Ausdruck der
Persönlichkeit) sowie den „Einstellungswerten zu Leben, Arbeit und unveränderlichen
Situationen“. Grundlage für diese theoretischen Annahmen sind Inspirationen
aus der Philosophie und Phänomenologie u.a. von Husserl, der Wertlehre von
Scheler, der Schichtenlehre von Nikolai Hartmann („Trotzmacht des Geistes“),
Jaspers und Heideggers „In-der-Welt-Sein“ (Transzendenz). Eine zentrale Stellung nimmt dabei die Einzigartigkeit des Individuums
ein, die durch ihre Beziehung zur Gemeinschaft Sinn und Wert erfährt. So ist in
vielen Fällen wo der Beruf keine Befriedigung erzeugt eine Frage der
Einstellung zu diesem Beruf und wie der individuelle Freiraum der Freiheit
genutzt werden kann. „Wie-man-die-Arbeit-sieht-und-Erledigt“, erweist sich
als sinnstiftendes Element. Somit wäre es eine Aufgabe der Psychotherapie in
der Arbeitswelt, dieser Frage nach dem „Wozu“ gemeinsam mit den Arbeitenden
nachzugehen und dies in den somatischen, psychischen und sozialen Zusammenhängen
aufzuarbeiten, was schließlich in eine entsprechende Organisations- und
Personalentwicklung integriert werden müßte und somit eine Entfremdung oder
Demotivation verhindern würde.
Helmut Graf setzt sich eingehend mit der
historischen Werdensgeschichte von Viktor E. Frankl und speziell mit den Vorwürfen
über die Verschleierung seiner Vergangenheit auseinander. Mit einem nicht
unerheblichen Aufwand an Nachforschungen und Interviews von Zeitzeugen (u.a.
Frau und Tochter von V. Frankl) beschäftigt er sich mit den Thesen, Frankl habe
während der Nazi-Diktatur keinen aktiven Widerstand geleistet, sei in einer
„verborgenen Haltung“ (Pytell) verblieben und habe daher die Rolle eines
Aussöhners gewählt. Diese selbstgestellte Aufgabe als Versöhner, so die
Kritiker, habe auch zu der „Nachkriegskultur des Verleugnens“ in Österreich
gepaßt und decke Frankl’s „Affinität“ sowohl für den Ex-Bundespräsidenten
Waldheim als auch für den Landeshauptmann für das österreichische Kärnten, Jörg
Haider. Letzterer versteht sich als „Anwalt aller Anständigen und Fleißigen“
und hat mit seinen Äußerungen die Ausländerfeindlichkeit angeheizt (vgl.
Ottomeyer, Klaus (2000): Die Haider-Show. Zur Psychopolitik der FPÖ.
Klagenfurth: Drawa).
Frankl verdient ohne Zweifel Respekt für
seine Erlebnisse und Lebensleistung; er hat das „Dritte Reich“
durchgestanden und war in verschiedenen KZ’s inhaftiert und wurde glücklicherweise
1945 durch die Alliierten befreit. Der Überlebenswille, die Überwindung einer
Unterlegenheitssituation durch Kompensation, wie dies von Alfred Adler in seiner
Individualpsychologie entwickelt wurde, war wohl ein Grundtenor für den unermüdlichen
Einsatz, die gewonnenen Einsichten theoretisch zu fundieren und zu verkünden.
Der „Wille zum Sinn“ und die existentialistische Betrachtung des Menschen,
eines Wesens, das sich frei entscheiden kann, was es ist und welchen Weg es
beschreitet, führen jedoch zu der Frage, wie es sinnhaft zu verstehen ist, daß
vor dem persönlichen Hintergrund sich eine „Bekanntschaft“ mit einer Person
wie Jörg Haider verträgt, selbst, wenn diese als privat deklariert wird. Diese
Zweifel bleiben trotz der strebsamen Bemühungen des Autors Aufklärung zu
bewirken.
Die Ausführungen von Helmut Graf über ein
sinn- und wertorientiertes Konzept, das die Motivation der Arbeitenden unterstützt,
wird als Unterstützung für das Management angeboten. Eine sinnorientierte
Arbeit hat „gesundheitserhaltenden und gesundheitsfördernden Charakter“,
unterstützt die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten, indem sie
Belastungen verringert und somit die Zufriedenheit verstärkt. In diesem Sinne
kann Psychotherapie in der Wirtschaft als ein Beitrag für die Rehumanisierung
der Arbeitswelt gewertet werden.
Günther
Köhnlein
Berlin, Dezember
2004
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Psychotherapie in der Arbeitswelt