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Böhme, Madelaine: Wie wir Menschen wurden. Eine kriminalistische Spurensuche nach den Ursprüngen der Menschheit. Unter Mitwirkung von Rüdiger Braun und Florian Beier, 2. Auflage, Heyne Verlag.

Angesichts der aktuellen Lage in der Welt dürfte die Frage der Menschwerdung nach wie vor ungelöst sein. Die eher kurzschlüssige Antwort, wonach der Mensch eben ein zerstörerisches oder gar »rücksichtsloses« Gen (Dawkins) in sich trage, enthebt die Menschheit weiterhin davon, die Menschwerdung energisch voran zu treiben. Dabei ist evolutionär mit dem Menschen ein Wesen auf den Plan getreten, dass über das Potential humanitären Handels verfügt. Nicht zwingend müsste derie Mensch:in seine Möglichkeiten dahingehend nutzen, um »tierischer als jedes Tier zu sein« (Goethe, Faust).

Den Rassisten dieser Welt sei der vorliegende Text zugleich empfohlen: Die Wiege der Menschheit stand vermutlich nicht in Afrika; das mag sie trösten. Die aktuelle Forschung der Paläontologie macht es plausibel, dass es an mehreren Orten der Welt zur Entwicklung vor- und frühmenschlicher Wesen kam, aus denen sich evolutionäre Zweige entwickelten, von denen einige in Sackgassen gerieten, andere in Linien sich fortsetzten. Ferner ist es mittels subtiler Methoden immer genauer möglich geworden, das Alter gefundener Fossilien zu bestimmen. Teilweise waren Funde falsch datiert worden, weil mensch seinerzeit noch nicht das Umfeld der Funde genügend beachtete, wozu andere Fossilien in der gleichen geologischen Schicht (Pflanzen und tierische Überreste) sowie Gesteinsformationen nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Ferner wurden Grabungen nicht immer systematisch vorgenommen und Laien beteiligten sich dahingehend, dass sie fossile Funde mitnahmen, aber natürlich das Umfeld des Fundes nicht festhielten. So bot etwa ein einfacher Soldat 1838 dem renommierten Zoologen J. A. Wagner Fossilien aus Griechenland zum Kauf an. Was der Soldat für Diamanten hielt, war nur gewöhnlicher Kalzit. Aber der Fund war dennoch enorm wertvoll, enthielt er doch neben allerlei Knochenbruch auch den Oberkiefer eines fossilen Affen.

Im Verlaufe des ersten Weltkrieges kamen die angestellten Grabungen in der Nähe von Athen zum Erliegen. Der zweite weltweite kriegerische Blödsinn führte 1943 einen Herrn von Freyberg nach Athen, wo er im besetzten Griechenland die Geologie dokumentieren sollte, zugleich – und vor allem – nach Kohlevorkommen suchen sollte, ferner die Ausbaumöglichkeiten von Bunkern für die Luftabwehrstellungen erkunden sollte. Beim Bau einer solchen Abwehrstellung auf dem Gelände Pyrgos Vasilissis Amalias (der Turm von Königin Amalie), die auf dem Gelände nahe Athen ein Areal anlegen ließ, das unter anderem sieben Hügel nutzte, wurden neue paläontologische Funde gemacht. Auch hier spielte der religiöse Größenwahn eine Rolle, träumte sie doch davon, dass Konstantinopel wieder Hauptstadt der Griechen, vor allem der orthodoxen Christen werden würde (Wenn mensch mal drauf achtet, findet sich überall in der Geschichte und in der Gegenwart die größte Schwachstelle menschlichen Seins: der Größenwahn). Kurz gesagt: Einer der sieben Hügel schien ideal für eine Flugabwehrstellung. Der Aushub der Baustelle brachte jedoch Erstaunliches zutage: Unter anderem den kompletten Unterkiefer eines Affen. Der wurde zunächst jedoch als Hundsaffe bestimmt, was erst 1969 korrigiert wurde. Es handelte sich um den Unterkiefer einer bislang unbekannten ausgestorbenen Menschenaffenart. »Nach der Fundregion und zu Ehren des Entdeckers taufte von Koenigswald sie Graecopithecus freibergi« (S. 33). Die Wissenschaft interessierte sich zu der Zeit nicht dafür – und zu allem Überfluss verschwand der (durch Kriegsirrsinn erheblich beschädigte Fund) auch noch.

Die Autorin vermutete nunmehr bei ihren Nachforschungen, dass es eine artmäßige Verbindung zwischen einem Hominiden-Backenzahn Fund aus Bulgarien und dem Unterkiefer des Graecopithecus freibergi gab. Für eine Untersuchung mit modernen Methoden bräuchte es aber die Originalfunde. Hartnäckige Nachforschung der Autorin brachte schließlich den vermissten Fund wieder zutage.

Bislang waren sich alle Paläoanthropologen darin einig, das die Wiege der Menschheit in Afrika steht.

»Taung in Südafrika, die Olduvai-Schlucht in Tansania, die äthiopische Afar-Region und der Turkana See in Kenia sind heute die bekanntesten Regionen der Menschwerdungsgeschichte. Kaum jemand zweifelt seit diesen Entdeckungen noch daran, dass sich der Mensch und seine Vorfahren in Afrika entwickelt haben und dass erst Homo erectus diesen Kontinent verließ und bis nach Asien vordrang. Dass schließlich in Afrika auch noch die ältesten Fossilien des modernen Menschen Homo sapiens gefunden wurden, bestätigte in den Augen nahezu aller Paläoanthropologen diese Auffassung« (S. 66f).

Dazu steht allerdings im Widerspruch, dass die Funde in Afrika allesamt einige Millionen Jahre jünger sind als die, welche die Molekularbiologischen Studien für die Scheidung des Menschen von der Schimpansenlinie angeben. Hier geht mensch von sieben bis 13 Millionen Jahren aus. Für diesen Zeitraum klafft in Afrika eine gewaltigen Fossilienlücke.

1992 publizierte ein kanadischer Kollege von Frau Böhm, David Begun, eine Analyse aller bis dahin bekannten Menschenaffen und Vormenschen und kam zu dem, als Einzelmeinung geltenden Schluss, das die fossilen Menschenaffen Europas tatsächlich die Basis aller afrikanischer Menschenaffen bilden (der weiße Vorfahre für die Rassisten gerettet? - ah nein, hier ist von Menschenaffen die Rede!). Wie viel Schmähungen musste sich schon Darwin anhören, als er herausfand, dass der Mensch vom Affen abstammt. Nun, seit der Studien von Begun sind viele neue Funde hinzu gekommen, so dass es sich kaum noch um eine Einzelmeinung handelt.

Begun hält es für unwahrscheinlich, dass vor etwa 2,3 bis 5 Millionen Jahren in Afrika und Eurasien ähnliche Menschenaffenarten lebten. Wahrscheinlicher ist es, dass die Entwicklung in Europa stattfand. Vor 14 bis 7 Millionen Jahren hätten sich die Menschenaffen enorm weiterentwickelt, indes die der afrikanischen Linie stockte. Als dann die Klimabedingungen in Europa schwieriger wurden, in Afrika aber günstiger, seien die Menschenaffen nach Afrika zurück gezogen. Dann hat die evolutionäre Entwicklung doch in Afrika begonnen! Jedenfalls wird die erste Phase der evolutionären Entwicklung des Menschenaffen in die Zeit um 21 – 14 Millionen Jahren datiert. Die rasante Weiterentwicklung fand dann aber in Eurasien statt und um die Zeit von 7 Millionen Jahren markiert Graecopithecus den Zeitpunkt, ab dem sich die fossilen Funde in Afrika wieder mehren.

Im Allgäu machte Frau Böhm dann – gegen alle möglichen Widernisse - einen erstaunlichen Fund: Eine größere Anzahl von Knochen, die sogar ein fast komplettes Gebiss umfassten. Sie nannten das männliche Exemplar Udo (sie hatten auf der Fahrt zur Grabungsstätte Udo Lindenberg gehört); wissenschaftlich heißt er nun Danuvius guggenmosi. Und schnell wurde klar, dass es sich um eine bislang unbekannte Spezies handelt. In ihren Schädelmerkmalen

»ähneln die Danuvius-Funde den deutlich jüngeren europäischen Menschenaffen und insbesondere den heutigen afrikanischen Menschenaffen, den Gorillas, Schimpansen und Bonobos. Einzigartig für Danuvius ist seine nur wenig vorspringende kurze Schnauze. Das ist ein Merkmal, welches eher an Vormenschen als an Menschenaffen erinnert« (S. 105).

Leider macht auch vor der Paläontologie das Machtstreben des Menschen nicht halt. So gibt es um den Sahelanthropos »skupellose Machenschaften einflussreicher Gruppen und lokaler Netzwerke«, die eine Untersuchung von Skelettteilen verhindern, weil sie die bislang gängige Meinung bedrohen könnten – soviel zu den neutralen Wissenschaften!

So hat es den Anschein, als sollte mittels Ungenauigkeiten und schlecht belegter Behauptungen die Out of Africa Hypothese nicht erschüttert werden. Jedoch kann dieses Modell das gleichzeitige Auftauchen des frühen Homo und des Urmenschen in Eurasien und Afrika nicht erklären.

»Der Versuch, den Ursprung der Menschheit in nur einem Land, einer Region oder einem Kontinent zu verorten, ist womöglich gescheitert. Afrika war offensichtlich nicht die alleinige Wiege der Menschheit, Asien und Europa hatten an der Menschwerdung ebenfalls einen großen Anteil« (S. 165f).

Klimawandel und daraus folgende Migration waren mutmaßlich wesentliche Faktoren, die die Evolution voran brachten. So trocknete vor ca. 5,3 Millionen Jahren das Mittelmeer aus, was vorher unmögliche Wanderungen nun ermöglichte. Gleichwohl erschütterten Funde in Indonesien (2003) die Annahme, dass erst Homo sapiens in der Lage war, größere Meeresstraßen zu überwinden. Die Funde auf der indonesischen Insel Flores, sie wurden unter dem Namen »Hobbit« weltberühmt, erschüttern die These des Homo sapiens als erstem Seefahrer. Hobbit, Homo floresiensis, ist eine bis dahin unbekannte Menschenart, die mit keiner der gängigen Theorien zur menschlichen Evolution vereinbar ist. In der beeindruckenden Liang-Bua-Höhle wurde ein nahezu komplettes Skelett des Homo floresiensis gefunden. »Hobbit« hatte erstaunlich große Füße und war von kleinem Wuchs. Dies führte zur Annahme von krankhaftem Minderwuchs, was durch die ursprüngliche Altersschätzung von 18 Tausend Jahren untermauert wurde. Jedoch hatten die damaligen Ausgräber ein wesentliches geologisches Merkmal übersehen, so dass die Datierung nunmehr zwischen 50 und 195 Tausend Jahren liegt. Damit fiel die Theorie vom krankhaften Minderwuchs eines modernen Menschen in sich zusammen; denn Homo sapiens erreichte Flores erst vor 46 Tausend Jahren. 2007 entdeckten Forscher auf Luzon einen menschlichen Mittelfußknochen und 2011 kamen weitere Fossilien zutage. Wie mensch heute weiß, gehören die Funde zu zwei erwachsenen und einem jugendlichen Individuum einer weiteren Art: Homo luzonensis.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein afrikanischer Homo oder die Vormenschen, die keine ausdauernden Läufer und kaum größer als einen Meter waren, durch die halbe Welt marschierten. Vielleicht hat also die Menschheit ihren Ursprung im frühen Grasland-Ökosystem der Region von Homo luzonensis und Homo floresiensis und nicht in Afrika (S. 249).

Es gibt noch andere bemerkenswerte Aussagen im Text. Etwa der Mensch als Hetzjäger, der auf Grund seiner Physiologie fast jedem Tier überlegen ist, als Kurzstreckenläufer aber nicht lange durchhält. Und schließlich die Gewinnung des Feuers, wodurch sich die Ernährung grundlegend änderte und erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns nahm. Dabei waren unsere Vorfahren schon »Zuckerjunkies«. Bereits vor 15,5 Millionen 0Jahren hatte die Menschenaffenart Dryopithecus carinthiacus Karies an den Zähnen. Heute lebende Menschenaffen haben damit so gut wie kein Problem. Die Nutzung des Feuers führte nicht allein zum Fleisch Grillen, sondern auch zum Garen von Pflanzen. Und im Verbund mit einem Enzym, Amylase, führte dies zu einem Entwicklungsschub des Gehirns.

»Für den Entwicklungsschub des Gehirns, erläutert eine interdisziplinäre Gruppe von Wissenschaftlern, habe sicherlich auch das proteinreiche Fleisch eine Rolle gespielt, aber erst gegarte stärkehaltige Nahrung habe uns wirklich schlau werden lassen. Ohne Feuer also kein menschlicher Geist?« (S. 268).

Die Entwicklung der Sprache schließlich ermöglichte den Kontakt mit mehr als 50 Individuen. Kraulen kann mensch immer nur einen, vielleicht zwei gleichzeitig, sprechen aber kann mensch zu mehreren. Tomasello sieht die Wurzel der Sprachentwicklung in der Größe der sozialen Gemeinschaften. Sprechen wurde zur evolutionären Errungenschaft, die wiederum die sozialen Fertigkeiten wesentlich verstärkten.

Ein spannendes Buch, wunderbar geschrieben, woran wohl die beiden Co-Autoren (Braun, Wissenschaftsjournalist und Breier, Germanist und Geograph) einen wesentlichen Anteil haben. So liegt hier ein wahrer Wissenschaftskrimi vor, dessen Lektüre viel Freude bereitet.

Bernd Kuck      
Dezember 2023

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