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Biddulph, Steve: Das Geheimnis glücklicher Kinder. Wilhelm-Heyne-Verlag, München 1999, verschiedene Ausgaben und Neuauflagen preiswert bei Amazon zu haben  (Originalausgabe „The Secret of happy Children“, Sidney 1994)


Biddulph ist ausgebildeter Psychologe und Familientherapeut. Er machte sich einen Namen mit seinen durch Humor und Anteilnahme geprägten Beratungsbüchern für Eltern kleiner Kinder. Er lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im australischen Bundesstaat New South Wales. Gleich auf Seite 10 offenbart er in einer persönlichen Anmerkung sein Credo: „Wenn Sie Ihr Herz sprechen lassen, werden Sie immer herausfinden, wie Sie Ihre Kinder am besten erziehen.“ So entsteht gleich zu Beginn der Eindruck, Biddulph wendet sich an alle besorgten Eltern, die ihren Kindern den bestmöglichen Start ins Leben geben möchten, und eben nicht an die unempathischen Nichtleser, die ihre Kinder genauso missachten wie sich selbst. Nun kann auch Biddulph keine Wunder vollbringen und jene erreichen, die ohnehin nicht lesen können oder wollen. Aber wird er wenigstens Erziehungshinweise geben für die hartnäckige Problemgruppe der Schreikinder?

Biddulph geht von der Beobachtung aus, dass alle Eltern ihre Kinder beeinflussen, aber wenn sie dies ohnehin machen, sollten sie es wenigstens richtig tun, d.h. mit dem Ziel, aus Kindern glückliche Kinder zu machen, damit diese später nicht als unglückliche Menschen durch die Welt laufen.

Den ersten Erziehungsfehler, den Biddulph anspricht, ist die Entmutigung. Dem Kind wird in vielfältiger Weise zu verstehen gegeben, dass es nichts taugt. Immer und immer wieder wiederholt, glaubt der kleine Mensch schließlich selbst daran. Biddulph nennt das Hypnose, Impfung und Suggestion. Es liegt auf der Hand, dass es einen riesigen Unterschied macht, ob man zehntausend Mal in der Kindheit hört, „du Blödmann kannst nichts“ oder „ich vertraue dir, du wirst es schon schaffen“.

Lektion 1: Demütigungen vermeiden, Ermutigung verstärken. Es gehört zu den großartigen Seiten dieses Buches, dass der Autor dafür viele konkrete Beispiele und Formulierungen bereithält. Jeder einzelne Tag bietet dutzende von Gelegenheiten positiv zu formulieren: „Halte dich gut fest“ statt „pass auf, dass du nicht runterfällst“.

2. Lektion: Kinder brauchen Liebe, genauer gesagt, häufigen Hautkontakt mit mehreren Bezugspersonen, sanfte, zugleich robuste Bewegungen beim Spielen sowie Augenkontakt, Lächeln und Geräusche wie Musik, Singen und Reden. Kinder brauchen viel Aufmerksamkeit und Abwechslung. Wenn sie quengeln, fehlt es an dem einen oder anderen. Natürlich profitieren Kinder davon, wenn man viel mit ihnen spricht und dabei lange und vollständige Sätze bildet. Eltern sollten gutes Deutsch sprechen.

3. Lektion: Mit den Kindern sprechen, und zwar ohne Bevormundung, Belehrung und Ablenkung. Biddulph nennt das „aktives Zuhören“. Der Erwachsene ist interessiert, fragt nach, hält sich mit Vorschlägen zurück. Diese Kunst muss man etwas üben. In dem Buch von Thomas Gordon Familienkonferenz – Die Lösung von Konflikten zwischen Eltern und Kind (Heyne Verlag, München 1989; amerikanische Erstausgabe 1970) wird es näher erklärt.

4. Lektion: Herausfinden, was das Kind beschäftigt und in ihm wirklich vorgeht. Biddulph deutet verschmitzt selbst an, dass der Buchtitel etwas in die Irre führt (S. 83). Tatsächlich gehe es weniger darum, Kinder „glücklich“ zu machen, als vielmehr darum, dass Kinder ihre vielfältigen Gefühle, die das Leben mit sich bringt, zulassen und mit ihnen umgehen können. Das bedeutet auch, mit Wut umzugehen. Etwa ab dem zweiten Lebensjahr können Eltern beginnen, ihrem Kind zu helfen, mit Wut umzugehen. Eltern dürfen darauf bestehen, dass ihr Kind seine Wut mit Worten und nicht mit Taten ausdrückt. Man kann ihnen helfen, den Grund für ihre Wut herauszufinden: „Bist du böse, weil du so lange darauf warten musstest, dass ich mein Gespräch beende?“ Wenn die Kinder Formulierungshilfe bekommen, werden sie bald in der Lage sein selbst zu sagen, was nicht stimmt. Schlagen und treten darf dem Kind rundweg verboten werden, aber die Erwachsenen müssen sich natürlich auch daran halten.

Mit zu den schlimmsten Erfahrungen für Erwachsene gehört es, wenn Kinder von der Kraft der eigenen Wut und Hilflosigkeit hinweggespült werden und sich nicht mehr einfangen können. Vorbeugung ist für Biddulph die beste Methode gegen „Wutspektakel“. Eltern sollten niemals die mit einem Wutspektakel einhergehenden Wünsche ihrer Kinder erfüllen, vielmehr hinterher mit den Kindern darüber sprechen, wie sie auf vernünftige Art und Weise ihren Wünschen Ausdruck verleihen können. In der schrecklichen Situation eines Wutanfalls sollte das Kind ignoriert werden. Merken die Eltern, dass sich ein Wutanfall anbahnt, sollten sie sofort ihren Ärger darüber ausdrücken. Oftmals werden Wutanfälle durch bestimmte Situationen und Verlockungen, beispielsweise im Supermarkt am Süßigkeitenregal, ausgelöst. Dieser Versuchung sollte ausgewichen werden. Ähnliches gilt für das Schmollen. Auch hier gilt: Nicht darauf eingehen, sondern Gesprächsbereitschaft signalisieren und das Kind in Ruhe lassen. Es gibt nichts auf der Welt, über das man nicht reden könnte. Auch Schüchternheit sollte frühzeitig entgegengesteuert werden. Biddulph gibt auch dazu praxisnahe Tipps.

Das nächste große Problem betrifft die konsequente Erziehungshaltung der Eltern. Erzieherische Moden wechseln, aber im Augenblick gilt die Maxime: Strenge Regeln, gekoppelt mit positiver Zuwendung.

Kinder sehnen sich geradezu nach Eltern und Erwachsenen, die ihnen Grenzen setzen. Das gibt ihnen Sicherheit. Ein gewisses Maß von Gehorsam macht das tägliche Leben einfacher. Wenn Kinder sich nicht kooperativ zeigen, dann erschweren sie den Eltern das Leben. Am besten ist es, wenn Eltern gegenüber ihren Kindern bestimmt auftreten (S. 117). Das, was Vater und Mutter sagen, muss Gültigkeit haben. Dem Kind soll signalisiert werden, dass man entschlossen ist, auf diesem Punkt zu bestehen, und dass man sich nicht darüber aufregen will. Bestimmt auftretende Eltern haben keine Angst vor Konflikten, sie stellen klare Forderungen, sie stellen Regeln auf und halten diese durch und sie werden immer verhandlungsbereiter, je älter die Kinder werden.

Das nächste Kapitel widmet sich den sich auflösenden Familienstrukturen. Kinder allein zu erziehen hat Vor- und Nachteile, aber die immer häufiger fehlende Mithilfe durch Großeltern, Onkels und Tanten und Nachbarn erschwert die Erziehung deutlich. Andererseits: Die wenigstens Eltern lassen es zu, dass Elternsein zu teilen. Sie glauben genau zu wissen, wie richtige Erziehung ist, und misstrauen allen anderen. Das Leben der isolierten Eltern ist natürlich anstrengender als das von Eltern, die frühzeitig ihr Kind mit anderen vertrauenswürdigen Personen teilen. Auch hier hat der Autor alltagstaugliche Ratschläge parat. Das Fernsehprogramm ist nichts für Kinder; selbst die Sesamstraße kann die kindliche Entwicklung nicht stimulieren. „Die Sendung mit der Maus“ scheint die einzige Fernsehserie zu sein, die man für Kinder empfehlen kann.

Das Geheimnis glücklicher Kinder sind letztlich entspannte, freundliche Eltern. Deshalb ist es so wichtig, dass die Eltern auf ihr eigenes Wohlbefinden achten. Auch hierzu bietet Biddulph konkrete Hinweise in Form eines 16 Punkte umfassenden Programms an (S. 174-176). Dazu gehört u.a., alle Arten von Unterstützung und Hilfsangeboten aus dem Umfeld in Anspruch zu nehmen. Viele Eltern aber sind überlastet und fordern sich zu stark.

Biddulph schaut aber auch über den engeren Kreis der Familie hinaus und benennt einige Bedingungen für einen gut funktionierenden Sozialstaat. Eltern können nicht umhin, sich öfters in Gruppen und Situationen außerhalb der vier Wände zu engagieren. Einige Menschen sind sprichwörtlich anstrengend, andere geben Kraft. Man sollte überlegen, welche Menschen der Umgebung zu welcher Gruppe gehören, und sich langsam von jenen trennen, die kraftraubend sind – und seien es die eigenen Eltern.

Das einzige Manko des Buches ist das Fehlen der Frage, wie man mit Schreikindern umgeht. Vielleicht findet sich dazu etwas in dem Folgeband „Weitere Geheimnisse glücklicher Kinder“ (Beust-Verlag)? Inhaltlich bringt es nicht wirklich Neues, die Themen des ersten Buches werden leicht abgewandelt. Wenn der Autor von der sanften und der standhaften Liebe zu den Kindern spricht, sind das nur andere Begriffe für die gleichen Inhalte. In diesem Fortsetzungsband erklärt Biddulph etwas mehr die Hintergründe kindlicher Entwicklung, aber die praktischen Anweisungen stehen auch hier im Vordergrund. Er führt einige neue Verhaltensweisen für Eltern ein, die die Disziplin in der Familie aufrechterhalten und er nennt Tricks, mit denen man Kinder dazu bringt, kooperativ zu sein.

Das Thema „Schreikinder“ wird wieder nicht wirklich behandelt. Im Supermarkt beim Einkaufen können Kleinkinder mit einer Leckerei oder etwas zu knabbern für einige Zeit ruhig gestellt werden. Beim Schreien im öffentlichen Raum gilt es, den Humor zu bewahren und das Kind einfach unter den Arm zu klemmen.

In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich Biddulph mit der Frage, wer die Kinder erzieht. Es gibt Eltern, die ihre Kinder schon mit vier oder fünf Monaten in die Ganztagskrippe geben. Die Vor- und Nachteile der Kinderbetreuung durch Dritte in diesem Alter erörtert der Autor ausführlich; er meint sogar, dass Kinder, die vor dem 3. Lebensjahr in Kinderkrippen abgegeben werden, erhebliche Entwicklungsdefizite und Mangelerscheinungen aufweisen. Biddulph scheint in einen alten Fehler zurückzufallen, wenn er diese Frage grundsätzlich diskutiert. Meiner Ansicht nach müsste individuell geschaut werden, was ein Kind verträgt und mit wie vielen externen Personen es vertraut sein möchte. Ein Netz aus Freunden, Tagesmutter und Kindergarten kann erheblich zum Funktionieren einer Familie beitragen. Die Hauptfrage bleibt jedoch, was die wahren Bedürfnisse der Kinder sind.

Gerald Mackenthun

Berlin/Magdeburg, Oktober 2008

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Biddulph
Inzwischen als Taschenbuch erschienen.
Das Geheimnis glücklicher Kinder

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