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Bange, Dirk: Sexueller Missbrauch an Jungen. Die Mauer des Schweigens, Göttingen 2007, 166 Seiten, Hogrefe Verlag


Sexueller Missbrauch an Jungen unterliegt nach wie vor einer Tabuisierung. Es hat ihn aber schon immer gegeben, wie der Autor in einem kurzen geschichtlichen Abriss von der Antike bis heute zeigen kann. In Kriegszeiten, in denen bekanntlich alle moralischen Schranken fallen, hat es bis in die heutige Zeit anale Vergewaltigungen von Jungen und Männern ebenso gegeben wie Kastrationen.

Dirk Bange diskutiert in einem kurzen Kapitel die Thematik der Wortwahl. Im Grunde handelt es sich immer um sexuelle Gewalt, die nämlich dann ausgeübt wird, wenn zwischen den 'Partnern' kein freiwilliges Einverständnis besteht. Die Verwendung des Begriffes „Sexueller Missbrauch“ suggeriert meiner Ansicht nach, dass es auch einen „sexuellen Gebrauch“ geben kann, wobei in beiden Wortwahlen die verdinglichende Sexualität leichthin in den Kauf genommen wird. Dass gerade Jungen davon sprechen, sie hätten „es“ auch gewollt, dient der Abwehr der für Jungen, aufgrund gesellschaftlicher Wertsetzungen, meist noch schambesetzteren Ohnmachtsgefühle. Herr Bange ist sich dieser Problematik bewusst. Auch dass es schwer falle, von sexuellem Missbrauch zu sprechen, wenn es 'nur' zu zärtlichen Berührungen gekommen ist, die nicht immer leicht als sexuelle Übergriffe erkannt werden könnten. Massive Gewaltausübung wiederum sei mehr als 'nur' ein sexueller Übergriff. Dass er sich letztlich zur Beibehaltung des Begriffes „Sexueller Missbrauch“ entschließt, da er in der Fachdiskussion sowohl für den Missbrauch an Jungen als auch an Mädchen eingebürgert sei, mutet wie eine Verlegenheitslösung an. Schließlich ist jede Verletzung der Selbstbestimmung eines anderen Menschen eine Form von Gewalt, sei sie nun sexuell oder nicht. Schon die Tante, die ihren Neffen nötigt, ihr einen Begrüßungskuss zu geben, missachtet dessen Selbstbestimmung – eine Form der 'Zärtlichkeit', die noch heute weit verbreitet ist.
Schließlich definiert Herr Bange sexuellen Missbrauch

„als jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Jungen entweder gegen seinen Willen vorgenommen wird oder der der Junge aufgrund körperlicher, psychischer, kognitiver oder sprachlicher Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann. Der Täter nutzt seine Macht- und Autoritätsposition aus, um seine eigenen Bedürfnisse auf Kosten des Jungen zu befriedigen.“ (S. 24f)

Der Leser erfährt nun einige Fakten zum Thema. Die sexuellen Übergriffe gehen sowohl von erwachsenen Männern wie Frauen aus. Dabei ist die Stellungnahme des Autors zur „Pädosexualität“ erfreulich klar, in der er immer einen Missbrauch der Jungen sieht.
Wie bereits aus dem Zusammenhang mit dem schon besser bearbeiten Thema des Missbrauchs gegenüber Mädchen bekannt ist, sind die Täter meist in der näheren Umgebung der Jungen zu suchen. Sehr häufig nutzen sie gezielt die soziale und psychische Unterversorgung der Jungen aus, um sich in ihr Vertrauen einzuschleichen. Ausführlich wird die subtile und perfide Strategie der Täter beschrieben, die man kennen muss, will man dem missbrauchten Jungen – auch wenn er als Erwachsener Beratung oder Therapie sucht – hilfreich zur Seite stehen. Besonders gravierend etwa ist die körperliche sexuelle Erregung des Opfers, die der Täter als Beweis für das Gefallen des ersteren am Geschehen darstellt. Da die Jungen emotional auf die Beziehung zum Täter angewiesen sind, in der Tat nicht die Gestörtheit des Täters erkennen können, erschließt sich ihnen der Sinn der Handlung nur in ihrer eigenen 'Schlechtigkeit'.

Erfreulich ist, dass Herr Bange zum besseren Verständnis nicht zur Fachliteratur anrät, sondern gerade auch autobiographische Romane, von denen er einige empfiehlt.
Erschreckend hingegen die immer noch äußerst mangelhafte institutionelle Hilfe, die männliche Missbrauchsopfer erfahren. Dazu tragen leider auch professionelle Helfer und Helferinnen bei, da sie aus Gründen der Abwehr wie der Unkenntnis die Angebote der Opfer, über ihre sexuelle Misshandlung zu sprechen, nicht erkennen.
Erfreulich wiederum, dass Herr Bange keinem monokausalen Verständnis in Belangen des Menschen folgt, was sich u.a. darin zeigt, dass – wenn es auch das Vorurteil so will – nicht die Tatsache, selbst Opfer sexueller Übergriffe gewesen zu sein, notwendig zu eigener Täterschaft führt.

Die Subtilität der „doppelten Mauer des Schweigens“ zeigt sich etwa darin, dass sich das männliche Opfer aufgrund seiner eigenen Wertorientierung des Oben-Unten bei falscher Wortwahl des Beraters/Therapeuten nicht verstanden fühlt. So können sie oftmals ihre Erfahrung gar nicht als Missbrauch erkennen:

„Ein Therapeut sprach zum Ende unseres Gespräches von Vergewaltigung, nachdem er gehört hatte, dass ein Mann mich zu Oralverkehr gezwungen hat. ... Vergewaltigung? Ja, Vergewaltigung. Männer vergewaltigen Frauen, richtig? Aber was hat das mit mir zu tun?" (S.96)

Jungen und Männer können sich überhaupt nur schwer als Opfer verstehen. Daher versuchen sie das Erlebte als „nicht so schlimm“ herunterzuspielen. Ihre männliche Identität hat sowieso schon erheblich gelitten. Sie würden ihr gleichsam den Todesstoß versetzen, würden sie sich als Opfer begreifen.

Zum Abschluss werden ausführlich die Schwierigkeiten in Beratung und Therapie geschildert. Dies nicht nur auf der Seite des Klienten, sondern gerade auch auf der helfenden. Neben einigen speziellen Aspekten gilt das meiste in diesem Felde, was für die Arbeit mit durch Menschen traumatisierten Menschen gilt.

Der Text ist nicht nur gut lesbar, sondern lesenswert. Selbst wer in der Thematik einigermaßen drin steckt, profitiert von der reichen Erfahrung des Autors, seiner klaren Sprache und den eingestreuten Beispielen aus der Praxis wie der Literatur.

Bernd Kuck, Bonn, August 2007

 

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